Asia Bibi und das Leid der Blasphemieopfer in Pakistan
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Asia Bibi und das Leid der Blasphemieopfer in Pakistan

Bedrängte Christen ‐ In einem Interview hat die wegen Blasphemie zum Tode verurteilte Pakistanerin Asia Bibi jüngst über ihre Jahre in der Todeszelle und ihr Exil in Kanada gesprochen. Ein Zurück gibt es für sie wohl nicht.

Erstellt: 09.09.2019
Aktualisiert: 27.07.2022
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In einem Interview hat die wegen Blasphemie zum Tode verurteilte Pakistanerin Asia Bibi jüngst über ihre Jahre in der Todeszelle und ihr Exil in Kanada gesprochen. Ein Zurück gibt es für sie wohl nicht.

Asia Bibi ist dem höchsten Gericht Pakistans dankbar für ihren Freispruch nach neun Jahren in der Todeszelle. In dem Interview mit der britischen Zeitung „Sunday Telegraph“ erinnerte sie zuletzt aber auch an die vielen Leidensgenossen in Pakistan: Es gebe „viele andere Fälle, bei denen die Beschuldigten jahrelang im Gefängnis verbringen“. Auch hier sollten die Gerichte zu ihren Gunsten entscheiden.

Das US-Außenministerium schätzt, dass derzeit 77 Menschen wegen Blasphemie in Pakistan inhaftiert sind. Sie zu verteidigen, erfordert unvorstellbaren Mut. Selbst vor Gericht werden Anwälte bedroht, wie Aneeqa Maria Anthony aus eigener Erfahrung weiß. An einem Verhandlungstag im Fall des 16-jährigen Christen Nabeel Masih habe der Staatsanwalt ihr im Februar gesagt: „Das sind muslimische Gerichte. Sie sollten einen solchen Kriminellen nicht verteidigen ... Sie passen besser auf sich auf.“

Im Telefonat mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagt die Menschenrechtsanwältin, die derzeit vier wegen Blasphemie angeklagte Christen vertritt: „Die Situation für Blasphemieopfer hat sich seit Asia Bibis Freispruch verschlechtert. Sowohl die radikalen Muslime als auch die breitere Öffentlichkeit wollen Rache.“

2009 entkam Anthony selbst einer Anklage durch ihre Flucht nach Deutschland. Nach ihrer Rückkehr nach Pakistan gründete die heute 38-jährige The Voice Society, eine Organisation, die Blasphemieopfern rechtlichen Beistand leistet. „Immer wieder müssen meine Familie und ich nach Drohungen untertauchen“, berichtet die Mutter zweier Kinder.

Der Fall Asia Bibi sorgte weltweit für Schlagzeilen. Papst Franziskus und andere einflussreiche Persönlichkeiten aus dem Westen setzten sich für die Katholikin ein. In Pakistan war der Fall Anlass für gewaltsamen islamistischen Aufruhr. Salman Taseer, muslimischer Gouverneur des Punjab, sowie der Christ Shahbaz Bhatti, Minister für Minderheiten, wurden ermordet, weil sie sich für die Freilassung Asia Bibis einsetzten.

Für radikale Muslime ist der 2016 hingerichtete Mörder von Salman Taseer ein Märtyrer, sein Grab wurde zu einer Pilgerstätte. Wie die Mehrheit der pakistanischen Christen stammt auch Asia Bibi aus dem Punjab. Mehr als 70 Prozent der Christen leben unterhalb der Armutsgrenze. Das macht sie zu leichten Opfern der Islamisten.

Pakistanische Menschenrechtsanwälte sehen die internationale Prominenz des Falls Asia Bibi mit gemischten Gefühlen. „Ohne die Intervention westlicher Länder wäre sie nicht freigesprochen worden“, sagt der im Exil in Sri Lanka lebende Anwalt Sardar Mushtaq Gill. Anthony in Lahore weiß aber auch: „Dadurch wurden die juristischen Verfahren in die Länge gezogen und das Leid von Asia Bibi verschlimmert.“

Beide Anwälte bevorzugen bei ihren Fällen lieber die „leisen Töne“ in der Öffentlichkeit. Gill sagt: „Dann bietet man weniger Angriffsfläche.“ Der Protestant musste trotzdem vor islamistischer Verfolgung fliehen. „Ich hoffe, dass ich bald in einem Drittland Asyl bekomme“, sagt Gill telefonisch aus Colombo, wo er in der Obhut der UN-Flüchtlingskommission lebt.

Anthony hat wenig Hoffnung, dass sich die Lage für religiöse Minderheiten in Pakistan entspannt. Er weiß: „Premierminister Imran Khan will die Gewalt bekämpfen. Aber sein Spielraum ist gering. Hass und Fanatismus sind inzwischen in der Gesellschaft tief verwurzelt.“

Mit dem Hass wird Asia Bibi für immer leben müssen. „Es brach mir das Herz, ohne Abschied von meiner Familie gehen zu müssen. Pakistan ist mein Land und meine Heimat, die ich liebe“, sagte sie im Interview. Sie weiß, dass es schon aus Sicherheitsgründen kein Zurück gibt. Doch auch im Exil, ob in Kanada oder letztlich in einem europäischen Land, muss sie die Rache der Islamisten fürchten. Anwältin Anthony sagt: „Sie wird nirgends sicher sein.“

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