Indische Schwester zu Menschenhandel auf Teeplantagen
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Indische Schwester zu Menschenhandel auf Teeplantagen

Monat der Weltmission ‐ Eine Tasse schwarzer Tee gefällig? Im nordostindischen Bundesstaat Assam pflücken Arbeiter der indigenen Adivasi für zwei Euro pro Tag die weltberühmten Blätter. Die Angehörigen der Minderheit wurden zu Kolonialzeiten aus Zentralindien hierher gebracht. Sie haben bis heute keine offiziellen Papiere und sind Ausbeutung sowie Menschenhandel ausgesetzt. Um sie und weitere indigene Gruppen, vor allem die Frauen und Kinder, kümmert sich die indische Don-Bosco-Schwester Annie Enchenatil. Sie arbeitet in einer Region, in der christliche Mission zum Teil bis vor rund 40 Jahren noch verboten war.

Erstellt: 17.10.2019
Aktualisiert: 04.01.2023
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Eine Tasse schwarzer Tee gefällig? Im nordostindischen Bundesstaat Assam pflücken Arbeiter der indigenen Adivasi für zwei Euro pro Tag die weltberühmten Blätter. Die Angehörigen der Minderheit wurden zu Kolonialzeiten aus Zentralindien hierher gebracht. Sie haben bis heute keine offiziellen Papiere und sind Ausbeutung sowie Menschenhandel ausgesetzt. Um sie und weitere indigene Gruppen, vor allem die Frauen und Kinder, kümmert sich die indische Don-Bosco-Schwester Annie Enchenatil. Sie arbeitet in einer Region, in der christliche Mission zum Teil bis vor rund 40 Jahren noch verboten war.

Frage: Schwester Annie, Sie stammen aus Kerala und sind nun seit mehreren Jahrzehnten im Nordosten Indiens tätig. Wie haben Sie die ersten Jahre dort erlebt?

Schwester Annie Enchenatil: Am Anfang war es etwas schwer, weil ich die Sprache der Indigenen nicht gesprochen habe. Aber mein Wunsch nach einem Leben im Glauben und der Weitergabe der Frohen Botschaft waren größer; nichts konnte mich aufhalten. Zuerst bin ich Krankenschwester geworden, danach habe ich in einer Apotheke gearbeitet und brachte Medikamente von Dorf zu Dorf.

Zu meiner Überraschung kamen die Medikamente aus Deutschland, von dort kommt traditionell viel Unterstützung. Schließlich waren es deutsche Salvatorianer, die im 19. Jahrhundert in Nordostindien mit der Mission begonnen haben. In den Dörfern brachte ich den Menschen das Wort Gottes, machte Tauf- und Kommunionvorbereitungen. Das waren die Freuden meiner jungen Jahre in der Region.

Frage: Im Bundesstaat Arunachal Pradesh war es Missionaren bis vor rund 40 Jahren verboten, einzureisen und zu missionieren. Wie hat die Kirche das ändern können?

Schwester Annie: Erzbischof Thomas Menamparampil brachte die vorwiegend indigenen Jugendlichen aus diesem Bundesstaat in unsere kirchlichen Bildungseinrichtungen nach Assam und Meghalaya. Dort taufte er sie und lehrte sie das Wort Gottes. Die Kinder kamen dann in Begleitung von Priestern in zivil zurück in ihre Heimat und brachten den christlichen Glauben in ihre Familien. Als die staatlichen Behörden das bemerkten, ließen sie die Missionare gewähren und erlaubten ihnen die Einreise. Seit rund 40 Jahren dürfen wir nach Arunachal Pradesh und haben dort mittlerweile zwei Diözesen gegründet. Das ist eine großartige Arbeit, die die Patres und Schwestern in Zusammenarbeit mit den Indigenen verwirklichen konnten.

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Frage: Der Tee aus Assam, wo Sie leben, ist weltbekannt. Unter welchen Bedingungen wird er angebaut und verarbeitet?

Schwester Annie: In den Teeplantagen Assams ging ich von Haus zu Haus, von Feld zu Feld. Ich fand heraus, dass alle Frauen dort ohne Ausnahme arbeiten müssen. Als Teepflückerinnen verrichten sie von sieben Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags diese harte Arbeit. Wenn sie dann nach Hause kommen, müssen sie die gesamte Hausarbeit erledigen – für oft sieben bis neun Kinder. Die Frauen verdienen 160 Rupien pro Tag (umgerechnet rund zwei Euro).

Frage: Auf den Teeplantagen arbeitet vorwiegend die indigene Minderheit der Adivasi. Wie wichtig ist für die Frauen da Selbstbestimmung?

Schwester Annie: Wir haben Gruppen von 10 bis 15 Frauen gegründet, die wir erst einmal offiziell registriert haben. Die Adivasi wurden zu Kolonialzeiten aus Zentralindien nach Nordostindien zum Teepflücken gebracht und sind bis heute ohne richtige Papiere. Wir registrieren sie bei den Behörden und den lokalen Banken. Die Menschen hatten nichts Erspartes, und so fingen wir an, mit ihnen zehn Rupies pro Woche zur Seite zu legen. Das Geld legten sie dann in der Bank an. Den Frauen brachten wir zudem Lesen und Schreiben bei. Zudem machen wir Leadership-Trainings mit ihnen, damit sie lernen, ihren Standpunkt vorzutragen – in der Familie und in der Gesellschaft. 

„Die Kinder landen oft in reichen Haushalten und müssen sklavenartige Arbeiten machen.“

—  Zitat: Schwester Annie Enchenatil

Frage: Menschenhandel ist ein großes Problem auf den Plantagen.

Schwester Annie: Auf den Teeplantagen stellten wir zudem fest, dass viele der Kinder nicht zur Schule gehen. Sie streifen umher und riskieren, von Menschenhändlern mitgenommen zu werden. Die Menschenhändler versprechen den Eltern bessere Bildung, Jobchancen und ein besseres Leben für ihre Kinder. Die Eltern sind oft ungebildet und glauben das, auch weil sie Geld brauchen. Die Menschenhändler geben ihnen dann einen kleinen Betrag und nehmen die Kinder mit in ferne Großstädte. Dort gehen die Kinder aber nicht in die Schule und haben auch keine Papiere oder Mittel, um zurück nach Hause zu kommen. Die Eltern wissen oft gar nicht, wo die Kinder hingebracht werden. Oft landen sie in reicheren Haushalten und müssen dort unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Junge Mädchen geraten häufig in die Prostitution.

Frage: Wie helfen Sie, um diesem Menschenhandel vorzubeugen?

Schwester Annie: Wir haben in den Dörfern ein Bewusstseinsprogramm begonnen und zeigen den Menschen mit Videos und Theaterstücken das Vorgehen der Menschenhändler. Ein großer Erfolg war, dass sich die Menschen in den Orten selbst zu Initiativen zusammengeschlossen haben, um sich dieses Themas anzunehmen. Eine Gruppe rief uns eines Abends an, weil sie gehört hatten, dass drei Mädchen eine Verabredung mit einem Menschenhändler für den nächsten Morgen am Bahnhof hatten. Also schickten wir sie am nächsten Morgen dorthin und der Menschenhändler zeigte sich nicht einmal – sie konnten alle Mädchen retten.

Frage: Sie haben acht Jahre lang indigene Volksgruppen im Bundesstaat Meghalaya begleitet. Auf welche Herausforderungen und Probleme sind Sie dabei gestoßen?

Schwester Annie: Die indigenen Völker in Nordostindien leben sehr zurückgezogen. Wir sind zu ihnen gegangen, haben mit ihnen gegessen und ihre Sprachen gelernt. Sie waren froh und empfanden es als Segen, dass ein Pater oder eine Schwester zu ihren Familien gekommen sind. Wir haben sie auf die Taufe vorbereitet, auf die Heilige Kommunion, auch auf Hochzeiten. Polygamie ist dort noch an der Tagesordnung. Wir versuchen das mithilfe von Bildung zu überwinden. Vor allem den jungen Frauen versuchen wir beizubringen, dass ein Mann nur eine Frau haben sollte. Das ist nicht einfach und braucht Zeit.

Das Interview führte Claudia Zeisel.

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Missio-Projekt für Adivasi-Jugendliche

Für 200 Adivasi-Jugendliche zwischen 17 und 25 Jahren bieten die Don-Bosco-Schwestern ein umfangreiches Training. In fünftägigen Kursen werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Themen wie Berufswahl, Medienkonsum, Gesundheit und Gefahren und Chancen der Migration geschult. Zu den Workshops gehören auch Einheiten, in denen die Jugendlichen mehr über ihre eigene christliche Religion und ihre Werte erfahren. Begleitend bietet das Programm Beratung zu den Möglichkeiten, ein Handwerk zu erlernen, einen Job zu erhalten, sich sozial und in der Gemeinde zu engagieren. Zudem können sich die Jugendlichen in Aktionen gegen Menschenhandel, Drogenkonsum oder Kinderheirat engagieren. Dazu gehört auch das Straßentheater. Die Ordensfrauen ermutigen die Jugendlichen, sich in ihrem Umfeld zu engagieren und ihr Wissen mit Gleichaltrigen auf den Teeplantagen zu teilen. Die Nachhaltigkeit ist durch die Begleitung der Ordensschwestern und regelmäßige Treffen gewährleistet.