Friedenspreisträger Salgado forstet seine Heimat auf

Friedenspreisträger Salgado forstet seine Heimat auf

Brasilien ‐ Starfotograf Sebastiao Salgado begnügt sich nicht damit, die Welt in Schwarz-Weiß-Fotos einzufangen. In seiner Heimatstadt forstet der diesjährige Friedenspreisträger den Urwald wieder auf.

Erstellt: 18.10.2019
Aktualisiert: 18.10.2019
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Starfotograf Sebastiao Salgado begnügt sich nicht damit, die Welt in Schwarz-Weiß-Fotos einzufangen. In seiner Heimatstadt forstet der diesjährige Friedenspreisträger den Urwald wieder auf.

Hoch oben in den Bergen von Minas Gerais habe der junge Sebastiao Salgado einst das Spiel des Lichts entdeckt, erzählt man sich noch heute in Aimores. Auf der elterlichen Farm hoch über der Kleinstadt habe sich der lichtscheue Junge stets unter den Bäumen versteckt, um der Sonne zu entgehen. Aus sicherer Position heraus beobachtete er die Welt zu seinen Füßen, die sich ihm im grellen Gegenlicht darbot. Das habe seine Schwarz-Weiß-Fotos geprägt, die mit dem Licht zu tanzen scheinen.

Doch jene Jugendtage der 40er und 50er Jahre liegen weit zurück. Seit den 60ern, als in Brasilien eine brutale Militärdiktatur herrschte, ist Frankreich und speziell Paris zur Heimat des heute 75-jährigen Bildermagiers geworden. Von hier aus bereiste er die Welt, schuf beeindruckende Bildergeschichten über Arbeiter und Migranten, dokumentierte Welten, die angesichts der heranrückenden Globalisierung und Landflucht im Verschwinden begriffen waren. Salgado dokumentierte, doch spurlos ging es nicht an ihm vorbei.

„Ich hatte gerade eine Reportage über Migration („Exodus“, veröffentlicht 2000) abgeschlossen, die knüppelhart war für mich“, berichtete er später über seinen Gemütszustand Ende der 90er Jahre. „Ich kam verletzt aus dieser Geschichte heraus, denn ich sah den Tod in seinen schrecklichen Formen, sah die vom Menschen verursachte Gewalt.“ Er habe nicht mehr an die Menschheit geglaubt und beschlossen, die Kamera an den Nagel zu hängen.

Zu jener Zeit übertrugen ihm seine Eltern die Farm „Bulcao“, benannt nach einem kleinen Bächlein, das durch das Tal in den Bergen des Teilstaates Minas Gerais (Allgemeine Minen) fließt. Doch aus jenem Paradies seiner Kindheitserinnerungen war inzwischen eine Erde geworden, die genauso „verwundet oder gar tot“ war wie er selbst. Die dichten Wälder des Atlantischen Regenwaldes, der Mata Atlantica, waren verschwunden, die Bäume geschlagen und verkauft, die Erde vom Vieh zertrampelt und vom Regen weggespült.

Ehefrau Lelia habe ihn ermuntert; „lass uns das Paradies deiner Kindheit wieder aufbauen“, sagte sie. Im November 1999 begannen die beiden, die 700 Hektar große Farm zu bepflanzen. Das „Instituto Terra“ war geboren, das „Institut der Erde“. „Als Sebastiao und Lelia mit der Arbeit begannen, dachten die Leute hier, dass die beiden komplett verrückt seien“, erinnert sich Isabella Salton, Direktorin des Projekts. „Wo hatte man denn gesehen, dass jemand Bäume pflanzen will?“

Damals glaubten die Landwirte, Bäume müssen Platz für Vieh und Felder machen. Heute bewundern sie das kleine Paradies, das das Ehepaar Salgado in 20 Jahren geschaffen hat. 2,5 Millionen Bäume wurden gepflanzt, so dass sich die karge Natur im Dezember, wenn die Regenzeit in den Bergen beginnt, in ein saftig grünes Meer verwandelt. Die Tiere seien zurückgekehrt und die Quellen sprudelten wieder, so Salton.

Längst beliefert das „Instituto Terra“ Farmen in der Region mit Setzlingen. Die Landwirte beginnen zu verstehen, dass sie aufforsten müssen, um zu überleben. Über eine Million kleiner Bäume zieht das Institut jährlich im eigenen Gewächshaus. Und in der in das Projekt integrierten Landwirtschaftsschule werden junge Leute aus der Region ausgebildet. Von hier aus will Salgado auch den Rio-Doce-Fluss retten, der ganz in der Nähe in Richtung des 200 Kilometer entfernten Atlantiks fließt.

Ende 2015 war hoch in den Bergen der Damm eines Abraumbeckens gebrochen; eine Schlammwelle verseuchte den Fluss. Salgado war einer der ersten, die sich zu Wort meldeten – und eine der wenigen positiven Stimmen. Man könne den Fluss neu beleben; die dazu nötigen Techniken habe man im „Instituto Terra“ längst verfeinert. Salgados Plan: Millionen Bäume entlang des Flusses und seiner Zuläufe pflanzen.

„Ich bin ein optimistischerer Mensch geworden, seit ich mich der Umwelt zugewandt habe“, sagt Salgado rückblickend. Die Bäumchen wachsen zu sehen, habe ihm auch die Lust an der Fotografie zurückgegeben. Zeugnis davon legt sein überwältigender Bildband „Genesis“ (2013) ab, eine Art Liebesbrief an den Planeten Erde.

So bezeichnete der Börsenverein des deutschen Buchhandels Salgados Lebenswerk passend als „eine Hommage an die Größe der Natur“. Mit dem „Instituto Terra“ habe Salgado zudem „einen direkten Beitrag zur Wiederbelebung von Biodiversität und Ökosystemen“ geleistet.