Bolivien kommt nach der Wahl nicht zur Ruhe
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Bolivien kommt nach der Wahl nicht zur Ruhe

Bolivien ‐ Erst deutete alles auf eine Stichwahl im Dezember hin, nun soll Amtsinhaber Evo Morales plötzlich doch Sieger der Präsidentschaftswahl sein. Eine eigentümliche Stimmenauszählung sorgt in Bolivien für Unmut und Proteste.

Erstellt: 25.10.2019
Aktualisiert: 15.11.2022
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Erst deutete alles auf eine Stichwahl im Dezember hin, nun soll Amtsinhaber Evo Morales plötzlich doch Sieger der Präsidentschaftswahl sein. Eine eigentümliche Stimmenauszählung sorgt in Bolivien für Unmut und Proteste.

Die Läden und Cafés in der Andenstadt La Paz ziehen die Vorhänge zu, Böller knallen, Sirenen heulen. Auch am Mittwochabend protestieren in der bolivianischen Regierungsstadt wieder unzählige Menschen. Seit drei Tagen gehen die Bolivianer im ganzen Land auf die Straßen – ein Ende ist nicht in Sicht.

Bolivien hat am Sonntag einen Präsidenten gewählt. Am Wahltag selbst ging es noch ruhig zu. Als am Abend die Wahlbehörde in La Paz das Teilergebnis bei 83 Prozent ausgezählter Stimmen bekanntgab, freuten sich viele Bürger. Der linke amtierende Präsident Evo Morales hatte demnach im ersten Wahlgang nicht gewonnen. Es hieß, er werde wohl gegen seinen bürgerlichen Herausforderer Carlos Mesa im Dezember in einer Stichwahl antreten müssen. Damit sank die Wahrscheinlichkeit einer vierten Morales-Amtszeit deutlich.

Doch dann setzte die oberste Wahlbehörde die weitere Auszählung vorerst aus. Nach knapp 23-stündiger Funkstille meldete sie sich am Montagabend erneut zu Wort und verkündete überraschend neue, andere Resultate – beim Stand von rund 95 Prozent ausgezählter Stimmen. Damit lag Morales plötzlich deutlich in Führung. Die nötigen zehn Prozentpunkte Vorsprung, die er benötigte, um im ersten Wahlgang zu gewinnen, waren greifbar. In La Paz spürte man, wie sich zunächst Unglaube, dann Wut in der Stadt ausbreitete. Im Zentrum füllten sich die Straßen mit aufgebrachten Menschen, die skandierten: „Das ist Wahlbetrug!“ und „Evo, pass auf, das Volk ist verärgert!“

Die unvermittelte Wende zugunsten des Amtsinhabers entfachte Rage im ganzen Land. Das ohnehin schon große Misstrauen gegenüber der Wahlbehörde brach sich Bahn. In neun Städten kam es zu Demonstrationen, Büros der sozialistischen Regierungspartei MAS wurden attackiert und Gebäude der Wahlbehörde in Brand gesetzt. Mesa kündigte an, er werde das Ergebnis nicht anerkennen und sprach von einem „beschämenden Betrug“. Die Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) äußerten sich „zutiefst besorgt“.

Die Wahlbehörde argumentierte, dass die Stimmen aus den ländlichen Gebieten entscheidend zum neuen Resultat beigetragen hätten. Diese seien später eingetroffen. Tatsächlich kann der indigene Staatschef bis heute mit hohen Zustimmungswerten auf dem Land rechnen, wo Campesinos und Ureinwohner leben. Ihnen hat er in den vergangenen Jahren ein neues Selbstbewusstsein gegeben.

Im Februar 2016 hatten die Bolivianer in einem Referendum eigentlich Nein zu einer Verfassungsänderung gesagt, die eine unbeschränkte Wiederwahl ihres Präsidenten ermöglicht hätte. Morales akzeptierte das Resultat jedoch nicht. Ende 2017 ließ er sich seine erneute Kandidatur durch das Verfassungsgericht genehmigen. Seither sehen viele Bürger die Demokratie mit Füßen getreten, besonders in den Städten Boliviens.

Morales, der sein Land seit fast 14 Jahren regiert, äußerte sich nach der Wahl erstmals am Mittwochmorgen in einer Pressekonferenz. Besorgt und betroffen über die gewalttätigen Ausbrüche im Land verkündete er den Notstand. Der 59-Jährige warnte: „Ein Putsch ist im Gange, von der rechten Opposition.“ Die Regierung werde die Demokratie verteidigen und mit Geduld auf die offiziellen Endergebnisse der Wahlbehörde warten.

Nach einer außerordentlichen Sitzung meldete sich auch die OAS. Sie empfiehlt dem südamerikanischen Land, unabhängig vom Auszählungsergebnis eine zweite Wahlrunde im Dezember abzuhalten.

Nach aktuellen Angaben bei rund 98 Prozent ausgezählter Stimmen hätte Morales im ersten Wahlgang gewonnen. „Er wird den Empfehlungen der OAS niemals nachgehen“, sagt Politikexperte Roger Cortez aus La Paz voraus. „Denn Morales weiß, dass er in einem zweiten Wahlgang verlieren würde.“ Und der Experte ist sich sicher: „Tritt Morales eine vierte Amtszeit an, wird er sie nicht zu Ende bringen können.“

Camilla Landbö (KNA)

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