Beginn einer neuen spirituellen Blütezeit?

Beginn einer neuen spirituellen Blütezeit?

Diaspora ‐ Vor vier Jahren sind wieder Ordensschwestern in das Marienkloster im norwegischen Tautra gezogen. Seitdem wächst die Gemeinschaft so stark, dass größere Gebäude benötigt werden.

Erstellt: 04.11.2020
Aktualisiert: 21.07.2022
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Ringsherum tiefblaues Wasser, in dem sich das Licht der Frühlingssonne bricht. Erst die teils schneebedeckten Berge begrenzen in einiger Entfernung die Weite des Fjordes. Über all dem das Azurblau des Himmels, an dem kaum eine Wolke zu sehen ist: Dieses Panorama, das sich dem Betrachter von dem grasbedeckten Hügel auf Tautra aus bietet, kann sich sprichwörtlich sehen lassen.

Kein Wunder, dass sich einst an genau dieser Stelle auf der kleinen Insel im Trondheim-Fjord Zisterziensermönche niederließen. Von dem 1207 gegründeten Kloster sind nur die Ruinen der Abteikirche übriggeblieben – davor eine Hinweistafel, die über Bedeutungsverlust und Aufgabe des Klosters infolge der Reformation informiert. Das Ende des Ordenslebens auf Tautra? Nein. Nur wenige hundert Meter entfernt vom alten Standort setzen Trappisten-Schwestern die Tradition in ihrem 2006 eingeweihten Marienkloster fort.

Das Kloster Tautra ist nur ein Beispiel dafür, dass die kontemplativen Orden in Norwegen derzeit eine Blüte erleben. Wirkten bis vor wenigen Jahren vor allem aktive Gemeinschaften wie die Josephs-, die Franziskus-Xaverius- oder die Elisabethschwestern in Krankenhäusern und Pfarrgemeinden – heute sind vor allem aktive Gemeinschaften aus den Philippinen und Vietnam mit jungen Schwestern vertreten –, zeigt sich mittlerweile ein Trend zu monastischen Orden. Aus deutscher Sicht wirkt das alles wie eine verkehrte Welt: Hierzulande mangelt es den Ordensgemeinschaften massiv an Nachwuchs, es mangelt zudem an Geld. Als Folge werden Klöster – auch traditionsreiche – aufgegeben, Ordensprovinzen werden zusammengeschlossen. Ein Spiegelbild der allgemeinen Kirchenkrise in Deutschland. Parallel dazu Norwegen: Hier heißt es bei den Orden Aufbruch statt Abbruch – in einem Land, in dem die katholische Kirche insgesamt kontinuierlich wächst, in einigen Regionen monatlich sogar um ein Prozent.

Bild: © Linda Toftum/Bonifatiuswerk

Mittagsgebet in der Klosterkirche: Sonnenlicht dringt durch das gläserne Dach und fällt auf das darunter liegende Holzgebälk. Ein einzigartiges Licht- und Schattenspiel erfüllt den Raum. Hinter dem Altar gibt eine große Glaswand den Blick auf den Fjord frei: die Schönheit der Schöpfung wird zum Altarbild. Der klare Psalmgesang der Schwestern, begleitet von zarten Harfenklängen, vollendet die mystische Atmosphäre, die ausstrahlt. Ließen sich einst sieben Schwestern aus dem US-Bundestaat Iowa auf der einsamen Insel nieder, führen hier mittlerweile 16 Nonnen aus zwölf Nationen ein beständiges Leben im benediktinischen Rhythmus von Ora et labora et lege.

„Viele Menschen in der Region haben lange darauf gewartet, dass auf Tautra wieder ein Kloster entsteht. Immer mehr Menschen möchten eine Nacht bei uns verbringen, um die Stille und Spiritualität des Ortes zu erleben. Die Nachfrage ist so groß, dass wir leider immer mehr Absagen machen müssen.“

—  Zitat: Sr. Gilchrist Lavigne

Das Kloster ist daher inzwischen zu klein. Es soll nun um einen neuen Flügel mit weiteren Zellenzimmern erweitert werden. „Manchmal kommen Menschen zu uns, um nach Orientierung im Leben zu suchen“, berichtet Schwester Gilchrist Lavigne von ihren Erfahrungen, „wenn sie mögen, helfen wir ihnen auf ihrem Weg.“ Und genau in dieser Aussage spiegeln sich die Offenheit des Klosters und die gelebte Willkommenskultur der Schwestern wider. In einem Gästehaus bieten die Nonnen Raum für all jene, die sich in die Stille und die spirituelle Atmosphäre dieses Ortes zurückziehen möchten. Auf der Halbinsel sind alle Menschen willkommen und zum Gebet eingeladen, egal ob sie tief im Glauben verwurzelt sind, der Kirche skeptisch gegenüberstehen oder einfach nur aus der Neugierde heraus einen Einblick in das klösterliche Leben bekommen möchten. Viele der Menschen in der Region hätten lange darauf gewartet, dass auf Tautra wieder ein Kloster entstünde. Viele von Ihnen möchten eine Nacht auf Tautra verbringen, um die Stille und Spiritualität des Ortes zu erleben. Die Nachfrage sei so groß, dass die Schwestern leider immer mehr Absagen machen müssten.

Ein angenehmer Duft liegt in der Luft, wenn die Nonnen 50 Kilogramm schwere Seifenblöcke, die mit Lavendel, Sandelholz, Mandel, Honig oder diversen Kräutern versetzt sind, in 630 handgerechte Stücke zerteilen. Die Trappistinnen verdienen einen Teil ihres Lebensunterhalts durch die Produktion von Seifen und Cremes. Doch Geld steht hier nicht im Mittelpunkt: „Die Seife bietet ein wunderbare Möglichkeit, den Menschen zu begegnen und mit ihnen in Dialog zu treten“, erklärt Schwester GilChrist: »Wir produzieren jedes Stück Seife als ein Gebet für den Frieden und wir beten für die Menschen, die sie kaufen.“

„Orte wie das Marienkloster auf der Halbinsel Tautra, an denen Glaube und Kirche auf besondere Weise gelebt werden sind besondere Ort die zeigen, wie lebendig und erfolgreich Norwegens Katholiken trotz oder gerade wegen ihrer Diaspora-Situation sind“, ist sich der Generalsekretär des Bonifatiuswerkes, Monsignore Georg Austen sicher. Bei all seinen Besuchen habe er stets eine sehr internationale und stark wachsende Glaubensgemeinschaft erlebt, die sehr viel Mut für die Zukunft mache. Mit seinen 16 Schwestern aus zwölf unterschiedlichen Nationen ist das Marienkloster ein Spiegel der multikulturellen Migrantenkirche in Norwegen.

Bild: © Martin Horwath/Bonifatiuswerk

Bischof Bernt Eidsvig spricht von einem Pfingstwunder, denkt er an die vielen verschiedenen Sprachen, die er sonntags in den Gottesdiensten hört. „Die Kirche in Norwegen ist eine ganz untypische Kirche“, betont er, „85 Prozent unserer Mitglieder sind im Ausland geboren.“ Das klinge zwar zunächst schwierig, meint der Oberhirte, allerdings dürfe man dabei nicht vergessen, dass die Kirche in Norwegen schon immer eine Einwandererkirche gewesen sei. „Im 19. Jahrhundert kamen die Katholiken vor allem aus Deutschland, Holland oder Frankreich. Ab den 1970er Jahren war die Kirche asiatisch geprägt. Heute stammen mehr als die Hälfte aller aus Polen.“ Eine ständige pastorale Herausforderung bleibt daher die Frage der Integration all jener, die neu hinzukommen. Die verschiedenen Muttersprachen spielen dabei eine bedeutende Rolle. Gerade die Ordensgemeinschaften spielten daher eine zentrale Rolle bei der Integration der Migranten.

Um ihr Kloster weiterentwickeln und weiterbauen zu können, hoffen die Ordensfrauen auf die Unterstützung des Bonifatiuswerkes, das sich der Anliegen der Katholiken annimmt, die in einer Minderheit leben. Ihnen steht das „Hilfswerk für den Glauben“ solidarisch zur Seite. „Die Schwestern zeigen auf eindrückliche Weise, wie das Leitwort unserer Diaspora-Aktion 2020 „Werde Hoffnungsträger!“ mit Leben gefüllt werden kann. Die Ordensschwestern lassen ihre Hoffnung überspringen und setzen für viele Menschen einen Anker des Vertrauens. Durch sie ist zu spüren, was christliche Hoffnung bedeutet, die andere inspirieren, motivieren und mitreißen kann«, sagt der Generalsekretär des Bonifatiuswerkes, Monsignore Georg Austen. In diesen herausfordernden Zeiten will das Hilfswerk mit der diesjährigen Diaspora-Aktion ermutigen, zu Hoffnungsträgern für andere zu werden.

© Text: Patrick Kleibold