Frage: Wie kann man zu einer solchen Solidarität kommen?
Vogt: In der Krise hat sich gezeigt, wie wichtig Solidarität ist. Die Vereinten Nationen müssten insbesondere für den Gesundheits- und Klimaschutz mit mehr Finanzmitteln und institutioneller Macht ausgestattet werden, um Dinge nicht nur zu beschließen, sondern auch durchzusetzen. In der zweiten Jahreshälfte hat Deutschland mit der EU-Ratspräsidentschaft die Chance, einiges in Gang zu setzen. Nachhaltigkeit ist kein Luxus für bessere Zeiten, in denen wir uns auf faire Ziele einigen, die dann in einer Krise aufgeschoben werden. Sie sollte vielmehr die konzeptionelle Antwort auf Krisen sein. Dafür braucht es Staaten, transnationale Gremien wie die EU und die UNO, aber auch starke Zivilgesellschaften und eine eigene Verantwortung der Wirtschaft.
Frage: Welche Rolle könnten Kirchen und Religionsgemeinschaften dabei spielen?
Vogt: Im Kampf für globale Gerechtigkeit und Klimaschutz haben sie Rückenwind durch die Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus, die weltweit und über den binnenkirchlichen Raum hinaus intensiv wahrgenommen wird. Darin geht es um die Krisenanfälligkeit unseres Gesellschaftssystems. Der Papst fordert einen Wandel des Lebensstils, ein anderes Gesellschaftsmodell. Wenn wir wirklich nachhaltig und damit auch krisenrobuster sein wollen, dann ist Wachstum nicht alles. Dann braucht es die Stärke und die Potenziale vor Ort, etwa eine eher lokale, regionale Wirtschaft, und auch ein neues Verständnis von Natur.
Frage: Wie meinen Sie das?
Vogt: Die Corona-Krise hat gezeigt, wie fragil unser modernes Wirtschaftssystem ist. Ein kleines Virus kann all unsere Sicherheiten ins Wanken bringen. Auf neue Weise Demut, Verzichtbereitschaft und sozialen Zusammenhalt zu lernen, wäre eine tiefgehende kulturelle Aufgabe, zu der die Kirchen viel zu sagen hätten. Wenn der christliche Glaube sich als Kraft der Resilienz in Krisenzeiten einbringt, kann er auf neue Weise lebendig werden.
Das Interview führte Paula Konersmann (KNA)
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