Frage: Welche neuen Schwerpunkte will sie künftig setzen?
Wilmer: Ein neues Thema, dem wir uns künftig verstärkt widmen wollen, ist die Organisierte Kriminalität. Das wird in Deutschland noch immer stark ausgeblendet, Länder wie Italien und Albanien sind da viel weiter. Wir wollen schauen, wo es in Deutschland dunkle Machenschaften gibt, denen niemand auf die Füße tritt. Uns geht es um eine Darstellung und Visualisierung dessen, was ist. So wie es der italienische Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano macht, den ich sehr schätze.
Weitere Themen sind die Nukleare Abrüstung, der wir uns schon in der Vergangenheit gewidmet haben. Und ein neueres Thema: Unser Verhältnis zu China – zum einen die Europäische Politik gegenüber China aber auch innerasiatisch. Uns ist schon klar, dass China neben unseren klassischen Supermächten wie Russland und den USA eine Größe sein wird, mit der wir in Zukunft deutlich rechnen müssen und wodurch sich die Konstellation in der Welt verschieben wird. Bis hin zu Themen wie Menschenrechte, Klima, Stadt-Land-Verhältnis und der Umgang mit Ressourcen.
Nicht zuletzt wollen wir auf das Menschenrecht auf angemessenen Umgang mit den Toten hinweisen. Es geht hier um Aufklärung, was mit Menschen passiert ist, die umgekommen sind, wie zum Beispiel die Verschwundenen in Argentinien, deren Mütter heute noch in Buenos Aires demonstrieren, oder auf dem Balkan, wo Tote verscharrt wurden.
Frage: Welche Themen waren für die Kommission in der Vergangenheit wichtig, haben sich aber im politischen und gesellschaftlichen Gespräch zu wenig durchgesetzt?
Wilmer: Die Abhängigkeit von Religion und Entwicklung muss stärker aufgezeigt werden. Den Vereinten Nationen ist inzwischen klar, dass wenn ausländische Experten ein bestimmtes Krisengebiet verlassen haben, die Religionsgemeinschaften in der Regel noch bei den Menschen sind, bei den Armen und Marginalisierten. Ein gutes Beispiel sind die Trappisten-Mönche von Tibhirine in Algerien, die im März 1996 verschleppt und enthauptet wurden. Sie waren bei den Menschen geblieben und haben nachhaltig für einen Ausgleich der Kulturen und der verschiedenen Religionen gesorgt. Hier sieht man, wie wichtig Religionsgemeinschaften sind, die bei aller Kritik auch ein Vertrauen genießen.
Frage: Wie kommt das?
Wilmer: Religion und das Christentum haben nach wie vor einen großen Vertrauensvorschuss, wenn es um möglichst uneigennütziges Vorgehen geht. Vielen Partnerorganisationen in der Entwicklungszusammenarbeit wird oft politische und wirtschaftliche Eigennützigkeit unterstellt. Eine Religionsgemeinschaft mag vielleicht auch gewisse eigennützige Anteile haben, aber in viel geringerem Maße. Das spüren die Menschen und das ist ein großes Kapital, unterschiedliche Gruppen an einen Tisch zu bekommen, um Vertrauen herzustellen und keinen billigen Frieden, sondern gerechten Frieden zu schaffen. Und hier sehe ich die zentrale Aufgabe der Deutschen Kommission Justitia et Pax: Sie hat eine prophetische Funktion und wir stehen auch heute dafür, bei den Armen, Ausgestoßenen und Marginalisierten zu sein.
Das Interview führte Claudia Zeisel.
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