Frage: Venezuelas Regierung sagt, dass die internationalen Sanktionen für die Krise im Land verantwortlich seien. Wie sehen Sie das?
Müller: Die Sanktionen sind nicht der Grund für die jetzige Not. Ursachen sind die Misswirtschaft und die Korruption der Regierung Maduro, die es nicht geschafft hat, in dem Land mit den größten Erdölreserven der Welt eine Wirtschaft aufzubauen, die die Menschen ernähren kann. Venezuela ist inzwischen nur noch in der Lage, 25 Prozent der Lebensmittel, die das Land braucht, selber anzubauen.
Ohne Zweifel haben die Sanktionen die humanitäre Notlage noch einmal verschlechtert und die Verfügbarkeit von Gütern eingeschränkt. Die Situation für die ärmeren Bevölkerungsteile hat sich dadurch nochmals verschlechtert, deshalb sind sie aus humanitären Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen. Sie zeigen bislang auch nicht die beabsichtigte politische Wirkung, nämlich das Maduro-Regime in die Knie zu zwingen. Im Gegenteil, sie geben dem Regime die Möglichkeit, die Schuld für alle Mängel auf die Sanktionen zu schieben. Für den Normalbürger ist kaum noch nachprüfbar, ob das stimmt oder nicht.
Frage: Der Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet ist voller schwerer Vorwürfe gegen das Maduro-Regime. Es soll außergerichtliche Hinrichtungen geben, Folter und Kontrolle über die Sozialprogramme. Haben Sie ähnliche Beobachtungen gemacht?
Müller: Ich habe vor Ort mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen gesprochen und nach diesen Gesprächen deutet für mich nichts daraufhin, dass der Bericht von Frau Bachelet unzutreffend ist.
Frage: Caritas und die katholische Kirche versuchen der armen Bevölkerung zu helfen. Was können Sie vor Ort erreichen?
Müller: Bislang kann die Caritas trotz des angespannten Verhältnisses der katholischen Kirche zur Maduro-Regierung eigentlich frei arbeiten. Es hat mich auch ein wenig überrascht, welch große Bedeutung die katholische Caritas in diesem Land hat. Das liegt offenbar auch daran, dass Venezuela kein klassisches Entwicklungshilfe-Land war und nicht viele internationale Organisationen vor Ort sind. Ich habe selbst einige Programme besucht. Unter anderem übergeben wir notleidenden Familien eine Geldkarte, die sie mit 15 Dollar wöchentlich aufladen und mit der sie in Geschäften ihres Viertels zumindest Grundnahrungsmittel kaufen können. Wir erreichen damit rund 5.000 Menschen.