Franco ist zu einem globalen Symbol geworden, in Paris und Berlin überkleben Aktivisten Straßenschilder und benennen sie in „Marielle-Franco-Straße“ um. In Rio hingegen zerstörten Politiker von Bolsonaros Partei im Wahlkampf demonstrativ solche Schilder mit Francos Namen. Auch Rios neuer Gouverneur Wilson Witzel nahm an der fragwürdigen Aktion teil. Er will in den Armenvierteln mit Scharfschützen aufräumen, die ohne Vorwarnung Drogenhändler erschießen.
Zwei Drittel der im Jahr 2018 gewaltsam zu Tode gekommenen Personen waren schwarze Jugendliche aus den Favelas. Dort herrscht Angst vor den neuen Zeiten. Wenn die Gruppe „Se Benze Que Da“ durch die Straßen zieht, sieht man Schilder, die Respekt für die Favelabevölkerung fordern. „Marielle presente“, Marielle sei anwesend, liest man. Auch im Sambodromo, Rios Karneval-Tribünenstraße, an der Touristen aus aller Welt aus VIP-Logen das bunte Treiben verfolgen, wird Marielle Franco präsent sein. Die Samba-Schule Mangueira wird sie in ihrem weltweit übertragenen Umzug ehren.
„Gute-Nacht-Geschichten, um große Leute einzuschläfern“ lautet der Titel des Mangueira-Umzugs. Es soll die „nicht-offizielle Geschichte Brasiliens“ erzählt werden, also die der Indigenen, Schwarzen und der Armen. „In der aktuellen politischen Atmosphäre ist das notwendig“, meint der künstlerische Leiter Leandro Vieira. „Wir wollen zum Nachdenken und zur kritischen Auseinandersetzung mit der brasilianischen Geschichte anregen, auch ganz besonders in diesem Moment, da die Konservativen an die Macht gekommen sind.“
Derzeit baut Bolsonaros Regierung an Reformplänen für die Schulen. Dabei soll es straffer zugehen: Statt „linke Philosophen“ zu lesen, sollen die Schüler lieber die Nationalhymne singen. Die bisher in den Schulbüchern kritisch gesehene Militärdiktatur (1964-85) soll positiver dargestellt werden. Der Umzug der Mangueira sei aber keine offene Kritik an Bolsonaro, so Vieira. „Das wäre zu propagandistisch.“ Aber die Mangueira setze ihre Tradition fort, den Konservatismus anzuklagen. Als populär-kulturelle Karnevalsgruppe mit meist armen und schwarzen Mitgliedern könne man einfach keine konservativen Positionen bedienen.