Frage: In Bezug auf die Flüchtlinge bestimmen aktuell Libyen, das Mittelmeer und die Hotspots die Medien. Hier in Italien fangen aber viele Probleme erst danach an …
Heße: Das stimmt. In den Hotspots sollen die Flüchtlinge in der Regel nur 72 Stunden bleiben. Danach geht es für sie weiter in die größtenteils überlasteten Aufnahmeeinrichtungen. Wir haben eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge besucht und dabei erfahren, dass der Staat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Gelder werden verzögert ausgezahlt, die Arbeitsbedingungen sind schwierig. Wenn die Leute dort nicht so viel Herzblut für die Jugendlichen aufbringen würden, sähe es schlecht aus. Ich habe den Eindruck, dass der italienische Staat an seine Kapazitätsgrenzen kommt.
Frage: Die Jugendlichen haben sich in dieser Einrichtung der Salesianer Don Boscos allerdings sehr wohlgefühlt …
Heße: Das Projekt hat mich auch sehr beeindruckt. Vor allem, weil die jungen Menschen sich – anders als in vielen anonymen Aufnahmelagern – direkt in einem sozialen Kontext befinden. Einer der Flüchtlinge hat mir gesagt: „Da, wo ich herkomme, hatte ich keine Eltern mehr, aber die Betreuer hier sind für mich wie Vater und Mutter.“ Durch so ein Umfeld wird viel für die Integration der Flüchtlinge getan. Denn zur Integration gehört mehr als das Erlernen der Sprache. Es heißt auch, am Leben teilzuhaben, angenommen zu sein und sich wohlzufühlen. Kurzum: Es heißt, eine neue Heimat zu finden.
Frage: Wie war ihr persönlicher Eindruck von den Flüchtlingen selbst?
Heße: Ich habe junge Leute erlebt, die froh waren, dass sie jetzt erst einmal in Sicherheit und in geregelten sozialen Verhältnissen leben. Sie wollen die Sprache lernen und schulisch weiterkommen. Viele haben bereits gut Italienisch gesprochen und die Hoffnung, beruflich irgendwann einmal in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen. Und sie hoffen natürlich, bald einen entsprechenden Anerkennungsstatus zu erhalten, der ihnen noch mehr Sicherheit gibt.