Derzeit allerdings weht der Wind in der Kirche franziskanisch-romerianisch. Der langjährige Weihbischof in San Salvador, Gregorio Rosa Chavez (74), der seit 1982 unter drei Erzbischöfen diente, macht viele Ähnlichkeiten zwischen Romero und Papst Franziskus aus. „Romero ist die Ikone des Hirten, wie Papst Franziskus sie im Sinn hat“, sagt er. „Die Ikone der Kirche, wie Franziskus sie sich vorstellt: eine arme Kirche für die Armen.“ Wie Papst Franziskus verkünde Romero das Evangelium zuerst durch sein Zeugnis, dann durch seinen Lebensstil „und erst an dritter Stelle durch sein Wort“.
Franziskus wiederum schätzt den romero-affinen Weihbischof so sehr, dass er ihn kürzlich in den Kardinalsstand erhob – auch das eine sehr ungewöhnliche Konstellation. Ein genauerer Blick auf die Vorgeschichte zeigt freilich, dass die Papstwahl von 2013 vermutlich nicht der allein entscheidende Punkt für das nun leuchtende Grüne Licht war. Schon Benedikt XVI. (2005-2013) hatte 2007 während seiner Brasilien-Reise erklärt, dass Romero aus seiner Sicht die Seligsprechung verdiene.
Doch das von Fachleuten im Vatikan über viele Jahre immer wieder kolportierte Argument, man könne leider nicht sicher sagen, ob der Mörder und seine Hintermänner Romero aus „Hass gegen den Glauben“ oder doch eher wegen seiner politischen Parteinahmen gegen die Regierung töteten, war nicht leicht auszuräumen.
Die Zeit zur Neubesinnung auf das Erbe von Oscar Romero ist zu seinem 100. Geburtstag günstig, ohne dass die Wunden zwischen den einst verfeindeten Lagern wieder aufgerissen werden müssen. Die einstige Guerilla-Bewegung FMLN ist heute eine etablierte politische Partei, und die mutmaßlichen militärischen und politischen Hintermänner der Ermordung sind tot oder im hohen Greisenalter.
Von Ludwig Ring-Eifel und Alexander Brüggemann (KNA)
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