Ochel: Insgesamt wurden in den Entwicklungsländern beeindruckende Fortschritte erzielt. Fest steht jedoch auch, dass gerade die am stärksten benachteiligten Regionen und Bevölkerungsgruppen an dieser Entwicklung nur unzureichend teilhaben konnten. Die Überlebenschancen zwischen reichen und armen Ländern sind auch jetzt noch extrem ungleich verteilt: Während in den Ländern mit hohen Einkommen weniger als 9 Prozent der Menschen vor der Vollendung ihres 50. Lebensjahrs starben, lag dieser Anteil in den Ländern mit niedrigen Einkommen bei über 66 Prozent und überstieg in vielen Ländern Afrikas sogar 70 Prozent. Zugleich leiden weltweit immer noch 90 Millionen Kinder unter fünf Jahren an Untergewicht. Sie haben Krankheiten wenig entgegenzusetzen und die Überlebenden werden gravierend in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung beeinträchtigt.
Frage: Das verheerende Ebola-Fieber in Westafrika hat gezeigt, dass die Staatengemeinschaft die Ausbreitung solcher Epidemien keinesfalls im Griff hat. Welche Erfahrungen haben die Ordensleute in Sierra Leone, Liberia und Guinea im Kampf gegen die Krankheit gemacht?
Ochel: Die Antwort der Ortskirchen, ihrer Partner im Norden und auch der missionierenden Orden auf die Ebola-Epidemie war zögerlich – selbst zu einem Zeitpunkt, an dem andere Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ bereits davor warnten, dass die Situation in den betroffenen Krisenländern Guinea, Sierra Leone und Liberia außer Kontrolle gerät. Es musste erst zu einer Übertragung von Ebola und Todesfällen in kirchlichen Gesundheitseinrichtungen kommen, bis eine international koordinierte, angemessene Antwort gegeben wurde.
In Liberia wurde die Franziskanerin Barbara Brillant zur nationalen Koordinatorin ernannt. Sie bat Ordensgemeinschaften in den USA um Infektionsschutzmaterialien und Medikamente. Gleichzeitig beantragte sie bei Misereor, den Catholic Relief Services und Caritas Internationalis Unterstützung.
Heute bedauern es die Organisationen der Vereinten Nationen, nicht frühzeitiger mit den Kirchen und Ordensgemeinschaften zusammen gearbeitet zu haben. Die komplexen Kontrollmaßnahmen bei Ebola, wie die besonderen Vorkehrungen von Bestattung, können nur dann erfolgreich durchgeführt werden, wenn sie von Vertrauenspersonen vermittelt und religiöse Empfindungen nicht verletzt werden. Somit hat die Ortskirche einen wesentlichen Beitrag zu Eindämmung der Epidemie geleistet.
Frage: In diesem September beschließen die Vereinten Nationen eine neue globale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda. Welchen Stellenwert sollte das Thema Gesundheit darin einnehmen?
Ochel: Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben sich Anfang August auf die sogenannte Agenda für nachhaltige Entwicklung geeinigt. Diese soll beim UN-Gipfel vom 25. bis 27. September in New York verabschiedet werden. Unter den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen ist Ziel drei direkt dem Thema Gesundheit gewidmet. Es soll allen Menschen unabhängig vom Alter ein gesundes Leben sichern und das Wohlergehen fördern. Die einzelnen Zielvorgaben – darunter die Senkung der Müttersterblichkeit, das Ende der vermeidbaren Todesfälle unter Kleinkindern und die Beendigung der Epidemien von Aids, Tuberkulose, Malaria und vernachlässigten Tropenkrankheiten – entsprechen weitgehend den von der Zivilgesellschaft und den Kirchen mitgetragenen Initiativen.