Friede diesem Haus: Friedenswort der Deutschen Bischöfe (2024)
Kernaussagen zu Aufrüstung und Grenzen der Selbstverteidigung

„Friede diesem Haus“ – Auszüge aus dem neuen Bischofswort zu Krieg und Frieden

Augsburg  ‐ Ist Pazifismus noch aktuell? Wie steht die Kirche zum neuen Wettrüsten? Was heißt eigentlich Feindesliebe? Welche Lehren zieht die Kirche aus ihrer eigenen Gewaltgeschichte? Was die deutschen Bischöfe dazu sagen.

Erstellt: 23.02.2024
Aktualisiert: 24.10.2024
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Unter dem Titel „Friede diesem Haus“ haben die deutschen Bischöfe am Mittwoch bei ihrer Vollversammlung in Augsburg ein neues Friedenswort veröffentlicht. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert Kernpassagen aus dem 175 Seiten langen Text:

Was der Text sein will und was nicht:

„Es ist kein Lehrtext mit Unfehlbarkeitsanspruch, sondern ein Wort des Nachdenkens in bedrängter Zeit, die Suche nach Wegen, die die Kirche in kritischer Zeitgenossenschaft gehen will, und eine Erinnerung an die Werte und die Hoffnung, die das Christentum zu jeder Zeit zu verkünden hat.“ (Vorwort)

Zur Sicherheitsdebatte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

„Im Zuge dieses Krieges herrscht derzeit in Deutschland eine Rüstungsdebatte, wie wir sie schon lange nicht gesehen haben. Wir wollen uns ihr nicht grundsätzlich verschließen, gerade da wir erleben müssen, dass Krieg in Europa nicht nur eine blasse Erinnerung ist. Und doch mahnen wir an, dass militärische Abschreckung nach unserem Verständnis keinen Frieden garantieren kann. Friede entsteht durch Begegnung, Dialog und dem verständnisvollen Respekt voreinander - nicht durch Angst vor der militärischen Vernichtung.“ (Nr. 7)

„Auch wenn wir Rüstungsanstrengungen gegenwärtig als unverzichtbares Element einer verantwortlichen Politik ansehen, grenzt es in globaler Perspektive an Irrsinn, angesichts der gewaltigen Probleme, die sich vor der Menschheit auftürmen, Unmengen von finanziellen und intellektuellen Ressourcen zu verschleudern, um uns gegenseitig davor abzuschrecken, einander zu vernichten, anstatt alle Kräfte darauf zu konzentrieren, gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Die politische Vernunft und die mitmenschliche Solidarität fordern ein Ende des Wettrüstens, eine internationale und überprüfbare Rüstungskontrolle sowie eine drastische Verringerung der Rüstungsausgaben. Dazu benötigen wir ein ernsthaftes Nachdenken über menschliche Sicherheit sowie die Herstellung von internationalen Beziehungen, in denen es fair zugeht und in denen Lasten gerecht verteilt werden. Wir müssen den Schreckensvisionen einer sich selbst zerfleischenden Menschheit kraftvolle Bilder gelingenden Miteinanders von Menschen und Völkern entgegensetzen.“ (Nr. 210)

Zur bleibenden Bedeutung des Pazifismus:

„Hier lohnt es, daran zu erinnern, dass unsere Friedenslehre von zwei Traditionen lebt, die bis in die Anfänge des Christentums zurückreichen und sich stets gegenseitig beeinflusst haben: dem christlich motivierten Pazifismus mit seinem umfassenden Gewaltverbot und der kritisch-konditionalen Gewaltlegitimation mit der Absicht, Gewalt zu beherrschen und zu minimieren. Bei aller Unterschiedlichkeit eint diese beiden Traditionsstränge doch das gemeinsame Ziel: Gewalt soll überwunden werden. Die Kirche kann und darf auf keine dieser Traditionen verzichten; vielmehr gilt es, die Spannungen auszuhalten und in einen kreativen Dialog miteinander zu bringen.“ (Nr. 12)

„Der Krieg gegen die Ukraine hat den Pazifismus erneut als realitätsfremd in Verruf gebracht. Wir teilen dieses Pauschalurteil nicht, weil es der Unterschiedlichkeit pazifistischer Positionen nicht gerecht wird. Es verbietet sich auch in Anbetracht der langen Leidensgeschichte pazifistischer Gruppen und Personen, die häufig nicht nur verlacht und beschimpft, sondern auch verfolgt und vertrieben wurden. Die Kirchen waren daran oft genug beteiligt, statt sich schützend vor sie zu stellen und ihren Gewissensentscheid zu verteidigen. Sie haben sich dadurch schuldig gemacht und sich der Notwendigkeit verweigert, ihre eigene Position gegenüber Staat, Militär und Krieg infrage zu stellen.“ (Nr. 70)

Die von Jesus gepredigte Feindesliebe nicht falsch verstehen:

„Die Feindesliebe fordert uns nämlich nicht dazu auf, den Feind aufgrund seiner Feindschaft, sondern aufgrund des gemeinsamen Menschseins zu lieben. Es geht in der Feindesliebe also nicht darum, die Feindschaft des anderen anzunehmen oder gar zu lieben. Vielmehr dürfen wir uns gegen sie zur Wehr setzen.“ (Nr. 73)

„Hieraus folgt weiterhin, dass die Notsituation einer angegriffenen Person, Gemeinschaft oder Gesellschaft nicht nur das Recht auf Selbstverteidigung begründet, sondern dass aus ihr auch eine Hilfepflicht für Dritte erwachsen kann, gerade wenn die angegriffene Partei nicht in der Lage ist, sich selbst in angemessener Form zu wehren.“ (Nr. 74)

Was die Kirche aus ihrer eigenen Gewaltgeschichte lernt:

„Gewalt betrifft die Identität von Menschen und bedarf entsprechender Antworten. Die tief verstörenden Gewalterfahrungen müssen verarbeitet werden, d. h. die betroffenen Menschen müssen sie in ihre Selbstverständnisse integrieren. Diese Prozesse sind heikel und schmerzhaft, wie wir derzeit in der Frage des Umgangs mit sexualisierter Gewalt in der Kirche erleben.“ (Nr. 169)

Eine konkrete Forderung an die deutsche Bundesregierung:

„Es ist höchste Zeit, aus der Abschreckung mit nuklearen Mitteln auszusteigen. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, im Rahmen der NATO einen Prozess anzustoßen und gemeinsam mit den Bündnispartnern Lösungen zu finden, wie die vermutlich auf absehbare Zeit erforderliche Abschreckung ohne Nuklearwaffen gewährleistet werden kann.“ (Nr. 207)

Die Bedeutung der ökumenischen Zusammenarbeit und ihre Erschütterung durch die russische Aggression:

„Unser Friedensengagement entfaltet stets dann eine besondere Wirkmacht, wenn die christlichen Kirchen mit einer Stimme sprechen und gemeinsam handeln.“ (Nr. 287)

„Die Tragfähigkeit der in diesen Dialogen gewonnenen Lernerfahrungen wurde und wird derzeit durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine einer schweren, bislang unbekannten Belastungsprobe unterzogen. Wir haben keine klare Antwort auf die Frage, was angesichts dieser tiefen Krise der Ökumene mit der Russisch-Orthodoxen Kirche zu tun ist, sondern können nur einige Überlegungen beisteuern.“ (Nr. 292)

„Unter wechselnden äußeren Bedingungen, während des Kalten Krieges ebenso wie in den Jahren nach dem Ende der Sowjetunion, ist lange Jahrzehnte hindurch bei allen Einschränkungen doch vieles gewachsen, gerade im akademisch-theologischen Austausch. Anstatt all dies restlos preiszugeben, braucht es jetzt Geduld und das Vertrauen, dass diese Saat immer noch Frucht bringen kann. Es ist möglich, Beziehungen ruhen zu lassen, ohne einen harten Bruch zu vollziehen. (...) Denn diese Netzwerke halten zusammen, was irgendwann wieder zu einem Fundament des Friedens werden kann.“ (Nr. 293)

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