Nordmazedonien in der EU-Warteschleife
Beitrittsverhandlungen mit Albanien kommen voran

Nordmazedonien in der EU-Warteschleife

Skopje  ‐ Nordmazedoniens Traum einer EU-Mitgliedschaft droht zu platzen. Ein Grund ist das Zerwürfnis mit Nachbar Bulgarien. Doch ein Vakuum auf dem Balkan könnte für den Westen Gefahren bergen – im Hintergrund wartet Russland.

Erstellt: 12.10.2024
Aktualisiert: 09.10.2024
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Von Markus Schönherr (KNA)

„Wie Warten auf Godot“ – so beschrieb Nordmazedoniens Präsidentin Gordana Siljanovska-Davkova vor kurzem die aussichtslos scheinende EU-Beitrittsperspektive ihres Landes. In wenigen Tagen soll das Nachbarland Albanien, das die Beitrittsgespräche 2022 gemeinsam mit Nordmazedonien startete, die ersten Verhandlungskapitel mit Brüssel eröffnen. Mit Nordmazedonien hingegen wurde der Prozess vorerst auf Eis gelegt, da eine entscheidende Verfassungsänderung bisher ausblieb. In Skopje fühlt man sich im Stich gelassen.

Im Fokus des Streits steht der große Balkannachbar Bulgarien, seit 2007 selbst EU-Mitglied. Sofia will den Weg in die Union erst freigeben, wenn Nordmazedonien die bulgarische Minderheit im Land als eines seiner „Gründungsvölker“ anerkennt. Dafür braucht es eine Verfassungsänderung, die ein Großteil der Mazedonier jedoch ablehnt.

Mit dem Wahlsieg der rechtskonservativen VMRO-DPMNE im Mai scheint der EU-Beitritt erneut in weite Ferne gerückt. Simonida Kacarska, Direktorin des European Policy Institute in Skopje, vermutet jedoch, dass dies auch unter einer anderen Regierung der Fall gewesen wäre. Denn für die Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit nötig.

Während Nordmazedoniens Ministerpräsident Hristijan Mickoski grundsätzlich nichts gegen eine Verfassungsänderung hat, fordert er eine zusätzliche Sicherheit für sein Land. Zu viele Zugeständnisse habe Skopje bereits gemacht, ohne den seit zwei Jahrzehnten andauernden Beitrittsprozess voranzubringen. Dazu zählt etwa die Namensänderung von „Mazedonien“ zu „Nordmazedonien“ - ein Schritt, um das Veto Griechenlands aus dem Weg zu schaffen. Mit Blick auf Bulgarien fordert Mickoski daher eine Klausel, die sicherstellt, dass die Verfassungsänderung erst gültig wird, wenn Bulgariens Parlament grünes Licht für den Beitritt gibt.

Laut Daniel Braun, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Skopje, ist Mickoskis Angst vor weiteren Forderungen Bulgariens nicht unbegründet: „Es gibt nach wie vor Äußerungen von bulgarischen Spitzenpolitikern, die offen sagen, dass es mit der Verfassungsänderung allein nicht getan ist.“ In Skopje reagierten die Menschen enttäuscht, erzählt Braun: „Weil man in der Wahrnehmung der Mazedonier von Albanien überholt wird.“

Politische Spielwiese der Großmächte?

Yorgos Christidis, Balkan-Experte der Universität Makedonien in Thessaloniki, sieht die Entwicklung als „signifikanten Dämpfer für die Hoffnungen und Bemühungen des proeuropäischen Blocks in Nordmazedonien“. Der sozialdemokratische Oppositionsführer Venko Filipce spricht gar von einer politischen Katastrophe: „Leider wird diese verpasste Chance viele Familien und eine ganze neue Generation betreffen.“

Unterdessen erinnert Braun, dass die EU-Aufnahme Nordmazedoniens und des Westbalkans auch in Deutschlands Interesse wäre: „Wenn die Europäische Union es nicht schafft, diese Länder zu integrieren, werden andere geopolitische Akteure in diese Lücke stoßen.“ Erst kürzlich berichtete die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ von einer möglichen Beteiligung Russlands an Nordmazedoniens geplatztem EU-Traum. Fest steht, dass Russland bis heute historische Beziehungen zu Bulgarien pflegt. Ein Dorn im Auge war dem Kreml bereits der NATO-Beitritt Nordmazedoniens im Jahr 2020.

Experte Christidis zufolge sind die Ausmaße des russischen Einflusses in Nordmazedonien nur schwer abschätzbar. „Sicher ist jedoch, dass unter den ethnischen Mazedoniern die Enttäuschung wächst und damit ein fruchtbarer Boden für Europaskepsis entsteht – und für die Verbreitung von Ansichten, die einen alternativen geopolitischen Kurs für das Land befürworten.“

Der Balkan gilt seit Jahrhunderten als politische Spielwiese der Großmächte. Neben Russland, China, USA, EU und Türkei weiten seit einigen Jahren auch die arabischen Golfstaaten ihren Einfluss aus. Kommt jetzt ein neuer Spieler hinzu? Das könnte jedenfalls Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban vorschweben, der sich im Streit zwischen Skopje und Sofia als Vermittler anbot. Er bezeichnete die Entscheidung, Nordmazedonien und Albanien im Beitrittsprozess zu trennen, als „historischen Fehler“ und betonte, Ungarns derzeitige EU-Ratspräsidentschaft für einen Kompromiss nutzen zu wollen.

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