Bruder Brian Thomas, Novize des Kapuzinerordens in Tortona (Italien)
Bild: © Kapuziner
Br. Brian im internationalen Noviziat der Kapuziner

„Ich komme in eine neue Freiheit“

München/Tortona ‐ Bruder Brian Thomas aus Deutschland lebt im internationalen Noviziat im italienischen Tortona. Was den jungen Ordensmann beschäftigt und wie sein Tag als Novize aussieht, erzählt er im Interview.

Erstellt: 14.04.2024
Aktualisiert: 11.04.2024
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Frage: Br. Brian, Sie sind nun seit einem halben Jahr im Noviziat in Italien. Wie geht es Ihnen?

Br. Brian Thomas: Es geht mir gut, trotz aller Herausforderungen, die das Noviziat mit sich bringt. Die Halbzeit war ein guter Moment, innezuhalten. So langsam bekomme ich das Gefühl, wirklich hier angekommen zu sein.

Frage: Was ist das für ein Ort, das Noviziat in Tortona?

Br. Brian: Tortona ist eine kleine Stadt mit etwa 30.000 Einwohnern, zwischen Mailand und Genua. Im Konvent sind wir 22 Brüder, sechs Ausbilder und 16 Novizen. Das Kloster ist schon seit vielen Jahren Noviziatskloster, seit letztem Jahr gehört auch Br. Harald aus unserer Provinz zum Stammkonvent. Die Gruppe der Novizen ist international: sechs Italiener, sechs Kroaten, zwei Franzosen und ein Slowake. Und ich, ein Deutscher.

Frage: Alles ist auf Italienisch, ist das eine Hürde?

Br. Brian: Die gemeinsame Sprache im Alltag, für den Unterricht und im Gebet ist Italienisch. Ich habe die Sprache von Null auf lernen müssen, aber inzwischen komme ich gut zurecht. Schon während des Postulats hatte ich Sprachunterricht und habe eine Zeit in Italien verbracht. Dennoch war der Start hier eine Herausforderung für mich, denn es ist einfach anstrengend, den ganzen Tag in einer fremden Sprache zu kommunizieren. Und auch jetzt noch fehlt manchmal die Tiefe, die es braucht, um die Nuancen im Zwischenmenschlichen auszudrücken.

„Die Gruppe der Novizen ist international“

—  Zitat: Br. Brian

Frage: Wie sieht das Leben eines Novizen aus?

Br. Brian: Die Woche ist klar strukturiert und verläuft sehr regelmäßig: Den Grundrhythmus bestimmen die Gebetszeiten morgens, mittags und abends. Von Dienstag bis Freitag gibt es Unterricht und Arbeit. Am Wochenende ist es nach dem Hausputz Samstagmorgen etwas freier und am Montag ist ein stiller Tag vorgesehen. Erster gemeinsamer Termin ist das Morgengebet um 6.30 Uhr. Nach den Laudes gibt es eine halbe Stunde Stille und dann Frühstück. Am Vormittag ist Unterricht, den die Brüder aus dem Konvent und manchmal auch Externe machen. Es ist ein bisschen wie bei Harry Potter: Jeder Bruder hat sein Thema, das er den Novizen näherbringt. Der Novizenmeister etwa spricht über die Konstitutionen, also die Regeln des Ordens und die Gelübde. Die anderen Brüder thematisieren die franziskanische Spiritualität, Gebet und Kontemplation oder die Geschichte der Kirche und des Ordens.

Frage: Und nach dem Mittagessen?

Br. Brian: Da gibt es die wunderbare italienische Siesta – eine völlig neue Erfahrung für mich (lacht). Eine gute Stunde hat man Zeit für sich. Mit einem Gebet startet der Nachmittag, der durch Aktivitäten karitativer Art oder Arbeit im Haus geprägt ist. Am Abend folgt nochmal ein großer Block mit Messe, Vesper und Stille, der etwa zwei Stunden dauert. Gegen 19.30 geht es zum Abendessen mit anschließender „Rekreation“, was in Italien Brettspiele, Kicker oder auch Filmabend bedeutet.

Frage: Was ist der größte Unterschied zwischen Postulat und Noviziat?

Br. Brian: Der stärkste Kontrast von Postulat und Noviziat besteht in meinem Bewegungsradius. Im Postulat war ich an vier verschiedenen Orten in drei verschiedenen Ländern, dazu kamen Reisen, etwa zum Weltjugendtag. Hier bin ich nun ein Jahr an nur einem Ort, ich verlasse das Gelände fast überhaupt nicht. Dadurch nimmt das brüderliche Leben einen noch stärkeren Raum ein und auch das Gebetsleben bekommt eine andere Tiefe.

Frage: Wie klappt es denn mit den Mitbrüdern? Was klappt gut, was fordert Sie heraus?

Br. Brian: Vor allem ist es eine wunderbare Erfahrung, Europäer zu sein. Bei allen kulturellen Unterschieden, die zum Vorschein kommen und die mich meine Identität als Deutscher auch besser verstehen lassen, sehe ich hier das Verbindende über die Grenzen hinweg. Das stärkt mich. Andererseits sind die kulturellen Unterschiede auch eine Herausforderung für ein so intensives Gemeinschaftsleben wir das Unsrige. Diese Anforderungen kommen zu den inneren Ansprüchen, die dieses Jahr an mich stellt, noch obendrauf.

Grundsätzlich will ich aber sagen: Es ist schön, auch entgegen der allgegenwärtigen kirchlichen Stimmung von Überalterung und Untergang, hier einen Aufbruch zu erleben. Wir sind 16 junge Männer, die positiv und suchend auf dem Weg sind. Für den spirituellen Weg, den das Noviziat bedeutet, sind meine Mitbrüder der wichtigste Katalysator, denn im alltäglichen Leben halten die Brüder mir den Spiegel vor. Sie stellen mir die Frage: Warum bist du eigentlich hier? Willst Du und kannst Du lieben?

Frage: Sind verschiedene Kirchenbilder eine Herausforderung in der Gemeinschaft?

Br. Brian: Die Unterschiede, die es natürlich gibt, sind kein bestimmendes Element im Alltag. Aber es ist eine bereichernde Erfahrung: Denn hier sitze ich mit dem kirchlich Andersdenkenden an einem Tisch, das sind keine anonymen Leute aus der Zeitung. Es ist der Bruder, mit dem ich bete, arbeite und esse. Was wir hier leben, das gilt im Großen für Kirche und Gesellschaft: Wir müssen wieder in den Dialog kommen, auch wenn die Meinungen auseinandergehen.

Kapuziner Bruder Brian Thomas auf dem Sacro Monte di Crea im Nordwesten Italiens
Bild: © Kapuziner

„Kann mich voll auf das einlassen, was gerade ansteht“: Bruder Brian auf dem Sacro Monte di Crea zwischen Tortona und Turin (Nordwestitalien).

Frage: Das Leben als Novize ist größtenteils ein Leben ohne Handy und Internet. Wie ist das so?

Br. Brian: Es ist eines der größten Geschenke und gleichzeitig auch eine der größten Herausforderungen dieses Jahres. Es fühlt sich an wie „ein bisschen Sterben“. Das Wasser, in dem man immer geschwommen ist, ist nicht mehr da. Es geht ja nicht nur um das Handy. Es geht um den Kontakt mit Familien und Freunden. Es geht darum, das Weltgeschehen verfolgen zu können. Sich geistige Nahrung zu holen, Musik zu hören. Wenn das alles zu 90 Prozent abgeschaltet wird, ist das ein großer Einschnitt. Vor allem für mich, der ich eigentlich ein vernetzter Typ bin. Gleichzeitig ist diese Lebensform in diesem Jahr ein Geschenk. Ich muss nicht innerlich abwägen, was ich gerade machen soll, kann mich voll auf das einlassen, was gerade ansteht. Ich mache die paradoxe Erfahrung, dass ich in eine neue Freiheit komme. Dass ich verwandelt werde.

Frage: Warum sind Sie vor sechs Monaten ins Noviziat eingetreten?

Br. Brian: Weil ich in der Erfahrung des Postulates erlebt habe, dass durch alle Widersprüche hindurch eine Klarheit für mich da ist: Der Herr will mich hier haben. Also gerade nicht ein: Alles passt. Sondern: Obwohl eben nicht alles perfekt passt, spüre ich deutlich, dass das der richtige Weg für mich ist. Darum wollte und will ich mich darauf einlassen.

Frage: Wie geht es Ihnen heute mit dieser Entscheidung?

Br. Brian: Sie war richtig, ich fühle mich bestätigt. Die Schwierigkeiten sind da, aber es ist eine wunderschöne Erfahrung, dass ich hier an diesem Ort über mich hinauswachsen kann. Es ist eine Erfahrung von Freiheit: Ja zu sagen, auch wenn es einen etwas kostet.

„Bei allen kulturellen Unterschieden, die zum Vorschein kommen und die mich meine Identität als Deutscher auch besser verstehen lassen, sehe ich hier das Verbindende über die Grenzen hinweg.“

—  Zitat: Br. Brian

Frage: Wie haben Sie sich verändert?

Br. Brian: Gerade durch die inneren Stürme hindurch hat sich mein Vertrauen immer weiter verschoben. Weg von einem Vertrauen auf mich selbst hin zu einem Vertrauen auf Gott. Auch bekommt alles, was ich bisher versucht habe in meinem Glauben zu leben, nämlich wahrhaftig und liebevoll zu sein, durch die Entscheidung, sich an eine Lebensform und Gemeinschaft zu binden, eine völlig andere Realität. Es ist plötzlich sehr konkret. Das hat mich überrascht. Und nicht zuletzt geht es um das Thema Brüderlichkeit: Meine Brüder hier im Orden sind oft anders als ich, aber ich bin dabei zu lernen, den anderen anzunehmen, wie er ist.

Frage: Im Sommer steht die Entscheidung an, die Gelübde abzulegen. Wie geht Ihr Weg weiter?

Br. Brian: Ich bin mit der Grundeinstellung ins Noviziat gegangen, dass ich meine persönliche Unterscheidung schon gemacht habe und dass diese Entscheidung nun von meinen Ausbildern geprüft und bestätigt werden muss. Und natürlich gibt es auch in mir noch ein Ringen. Aber wenn ich alles hundert Prozent offenlassen würde, dann könnte ich die Transformation, die das Noviziat bedeutet, gar nicht wirklich an mich ranlassen. Das Ziel ist für mich also klar formuliert: das „Ja“ zu dem, was Gott für mich und von mir will.

Frage: Wie wollen Sie in Zukunft „franziskanisch leben“?

Br. Brian: Das Geniale am franziskanischen Leben besteht in seiner Originalität. Das Evangelium wird sichtbar und erfahrbar durch Menschen, die von ihm erfüllt sind. Von Menschen, die den Duft der Freiheit und der Schönheit Gottes verbreiten, weil sie dazu befreit sind, wahrhaft sie selber zu sein. Dafür steht Franz von Assisi für mich. Und Gott will nicht, dass ich eine Kopie des heiligen Franziskus werde, sondern der Brian, den Er sich ausgedacht hat, gemeinsam mit den Brüdern, die er mir schenkt. Franziskanisch leben bedeutet also für mich: Mich dem Leben mit seinen Herausforderungen und Widersprüchen stellen, im Vertrauen auf Jesus. In Gemeinschaft mit ihm und meinen Brüdern an dunkle Orte gehen, damit sie Orte des Lichtes und Lebens werden.

Das Interview führte Tobias Rauser

Dieser Beitrag erschien zuerst auf kapuziner.org. Wir danken für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

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