Sozialethiker: Der Papst hat das Kriegsende im Blick
Mönchengladbach ‐ Mit einem Sondergesandten möchte der Vatikan den Weg zu Gesprächen zwischen Moskau und Kiew ebnen. Der Sozialethiker Peter Schallenberger ordnet die Initiative ein.
Aktualisiert: 26.05.2023
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Papst Franziskus hat den italienischen Kardinal Zuppi zum Sondergesandten für die Anbahnung von Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew bestellt. Die Mission stößt auf Skepsis auf beiden Seiten. Der Sozialethiker Peter Schallenberg analysiert im Interview die Beweggründe des Vatikans und auf welchen theologischen Grundlagen die päpstliche Friedensdiplomatie agiert.
Frage: Professor Schallenberg, viele Menschen in Deutschland sind irritiert von der außenpolitischen Linie des Papstes. Zunächst zurückhaltende Äußerungen zum russischen Angriffskrieg und nun eine Friedensinitiative. Wie ist das zu erklären?
Schallenberg: Wenn man sich die päpstliche Diplomatie der letzten 100 Jahre anschaut, dann ist das recht einfach zu erklären. Der Vatikan versucht, eine neutrale Haltung einzunehmen. Hinsichtlich der moralischen Beurteilung von Kriegen ist er jedoch eindeutig. Der Papst hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt, doch positioniert sich der Heilige Stuhl außerhalb der Machtblöcke und nimmt über das Ende der Kriege auch den neuen Anfang einer Versöhnung in den Blick. Dadurch kann er ein Forum bieten und als Vermittler tätig sein. Es geht darum, aus Feinden Partner werden zu lassen. Damit steht Franziskus in einer Tradition mit de Gaspari, Schuman und Adenauer, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland ermöglicht haben.
Frage: Warum gelingt es kaum, diese besondere Position zu kommunizieren?
Schallenberg: Das betrifft vor allem die deutsche Presse. Das sieht in Italien und Frankreich anders aus. Dort ist die Tradition des Heiligen Stuhls stärker im Blick und wird besser verstanden. In Deutschland stehen sich Extrempositionen gegenüber, ein Mittelweg scheint kaum möglich zu sein. Entweder ein bedingungsloser Pazifismus oder eine bedingungslose Hilfe für die Ukraine bis zum Sieg.
„Der Vatikan hat ein distanziertes Verhältnis zum Westen.“
Frage: Der Vatikan gibt sich gegenüber Kiew eher distanziert. Ist dieser Papst näher an Moskau als an Kiew und „dem Westen“?
Schallenberg: Das Letzte würde ich keinesfalls behaupten. Aber der Vatikan hat ein distanziertes Verhältnis zum Westen. Denken wir an die vielen Male, wo Johannes Paul II. den USA und damit dem Westen in Sachen Irakkrieg widersprochen hat. Der Vatikan sieht sich dezidiert nicht als Teil des Westens. Punkt. Die deutliche Distanz zu Moskau, aber auch eine Distanz zu Kiew begründet sich aus einer Gemengelage von Motiven. Dazu gehören beispielsweise auch die vielen Minderheiten aus Ungarn, Armenien und Rumänien in der Ukraine. Im Blick auf die russisch-orthodoxe Kirche will man den Gesprächsfaden auf keinen Fall abreißen lassen.
Man will zudem vermeiden, dass man als ein Anhängsel der westlichen strategischen Bündnispolitik im Hinblick auf Kiew betrachtet werden könnte. Um es noch mal ganz deutlich auf den Punkt zu bringen: Aus meiner Sicht hat der Vatikan überhaupt keinen Grund, sich dieser politisch-strategischen Allianz anzuschließen, ohne dass deshalb irgendein Zweifel daran besteht, dass das ein ungerechter Angriffskrieg ist und dass die Ukraine das Recht hat, sich zu verteidigen.
Frage: Hat diese Positionierung auch etwas mit der lateinamerikanischen Herkunft von Papst Franziskus zu tun?
Schallenberg: Ja, absolut. Wie weit der Papst persönlich motiviert ist, ist natürlich schwierig zu beantworten. Das neokoloniale Gebaren der USA in Lateinamerika hat Franziskus aber natürlich geprägt. Zudem sind die diplomatischen Beziehungen des Vatikans mit den USA jüngeren Datums. Auch das prägt die Wahrnehmung des Vatikans, der die USA keinesfalls als den Heilsbringer des Großteils der Welt ansieht. Und dann gibt es die Fragen nach der geopolitischen Ordnung der Zukunft: Bildet sich eine bipolare Ordnung heraus? Oder eine multipolare Ordnung? Auch das Verhalten des Vatikans in Bezug auf China wird von dieser Sorge imprägniert sein.
Rolle der Schwellenländer unterschätzt
Frage: Steht Franziskus als Lateinamerikaner den BRICS-Staaten näher und den USA ferner als frühere Päpste vom europäischen Kontinent?
Schallenberg: Indien, Brasilien und Südafrika als Teil der BRICS Staaten werden im Westen meines Erachtens unterschätzt und ich glaube, dass der Vatikan das auch so sieht. Man könnte sie mit den „Blockfreien“ im Kalten Krieg vergleichen. Die hatten eine nicht unerhebliche Rolle in der Welt, wurden aber sehr unterschiedlich regiert. Das beobachtet man auch bei den BRICS-Staaten. China hat eine ganz eigene Agenda, um eine chinesische Hegemonie im fernen asiatischen Raum einzuläuten. Oder denken Sie an Südafrika mit einer sehr fragilen Wirtschaft, aber mit einem deutlichen Selbstbewusstsein; oder an das große Indien.
Frage: Welche Priorität steht hinter dieser neutralen Position?
Schallenberg: Der Vatikan sieht sehr nüchtern seine Hauptaufgabe im Schutz der Christen und überhaupt der Menschenrechte. Und das scheint ihm am besten zu gelingen, wenn er nicht Teil einer strategischen Allianz ist, und das würde ich als sehr plausibel unterstreichen.
Frage: Der Westen hält Wladimir Putin nicht für verhandlungsfähig. So sieht das auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Doch der Papst denkt hier anders. Wie kommt er dazu?
Schallenberg: Das Kirche lehrt, dass das Böse ein Mangel an Gutem ist. Das schlägt sich auch im politischen Agieren der Päpste nieder. Paul VI. und Johannes Paul II. haben etwa die diplomatischen Beziehungen weder zu Persien noch zur späteren islamischen Republik Iran infrage gestellt. Das betrifft auch viele andere Regime in der Welt. Es gibt nicht den Bösen, sondern das Böse. Also keine manichäische dualistische Ordnung: hier die Guten, dort die Bösen, wie wir es aus der Diktion George Bushs jun. von der „Achse des Bösen“ kennen. Er machte einen Unterschied zwischen dem Reich des guten Westens mit „God's own Country“ an der Führungsspitze und dem Reich des Bösen auf der anderen Seite. Da ist der Vatikan nie mitgegangen.
Dazu besteht auch kein Grund wegen einer von Augustinus geprägten Geschichtstheologie, die das Böse als eine Versuchung im Herzen von Menschen, auch von vielen Menschen ansieht. Aber dass ein Mensch an und für sich der Böse ist und damit ausgerottet und bekämpft werden muss, ist selbst bei einem Tyrannen nicht der Fall. Der Tyrannenmord bleibt daher ultima ratio. Denn das absolut Böse wäre etwas, das keine Möglichkeit mehr hätte, sich zum Guten zu bekehren und das ist bis in die letzte Lebenssekunde eines Menschen nach christlicher Auffassung der Fall. Insofern geht es schon bei Augustinus immer nur um die Notwendigkeit der Eindämmung des Bösen.
Frage: Selenskyj wie auch der russische Außenminister haben eine päpstliche Vermittlung bislang abgelehnt. Warum will sich der Heilige Stuhl dennoch einmischen?
Schallenberg: Jeder muss das Blatt spielen, das er hat. Selenskyj hat alles auf eine Karte gesetzt. Das ist ihm nicht zu verdenken, sondern das ist ganz verständlich und nachvollziehbar. Aber genauso nachvollziehbar und verständlich ist, dass der Vatikan sagt, wir haben einen anderen Blick, ohne dass deswegen irgendein Unrecht oder eine Gewalt gerechtfertigt wird. Das ist eben die Schwierigkeit, das auseinander zu halten. Aber es muss gefragt werden: Was ist, wenn alles zu Ende ist? Wir müssen die Gesprächsfäden dann wieder aufnehmen, und wir müssen in der Lage sein, Verhandlungen zu führen. Friedensverhandlungen müssen möglich sein, weil sie immer notwendig sind, auch und gerade auf entsetzlichen Bergen von Leichen, wie dies beispielhaft nach den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs gelungen war. Manchmal kann man nämlich das Böse und die Gewalt nur überwinden, nicht besiegen.
KNA