„Mit Religion Politik zu betreiben, ist gefährlich“
Abuja ‐ Ende Januar wird in Nigeria ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Im Interview spricht der Erzbischof von Abuja über die Situation in dem Land – und erklärt, warum Menschen für manche Jobs sogar die Religion wechseln.
Aktualisiert: 15.02.2023
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Ignatius Kaigama (64), Erzbischof von Abuja, ruft gemeinsam mit der Nigerianischen Bischofskonferenz zu freien, fairen und friedlichen Wahlen in seinem Heimatland auf. Und das nicht ohne Grund: Vor der Präsidentschaftswahl am 25. Februar prägen die schlechte Sicherheitslage und der Unmut über fehlendes Bargeld die Situation in dem afrikanischen Land. Im Interview erläutert Kaigama, dass auch die Kirche zu den Leidtragenden zählt.
Frage: Herr Erzbischof, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in Nigeria?
Kaigama: Die Menschen sind besorgt. Bald werden Präsident und Parlament neu gewählt. Es lässt sich nicht vorhersagen, was passieren wird. Das fällt in einen Zeitraum, in dem die Sicherheitslage schlecht ist. Reisen sind riskant. Auch sind es wirtschaftlich schlechte Zeiten. Neues Bargeld wird eingeführt, was im Moment aber für große Probleme sorgt.
Frage: Jetzt verstärkt der bevorstehende Urnengang die Probleme?
Kaigama: Jeder möchte gewinnen. Die Menschen im Norden haben wie die Christen und die Muslime ihre Vorlieben. Wir wissen nicht, wie das ausgeht. Ethnische Zugehörigkeit und Religion spielen eine Rolle. Als katholische Bischofskonferenz fordern wir freie, faire und friedliche Wahlen. In Gesprächen fordern wir Politiker auf, sich für den Frieden einzusetzen. Wir hoffen, dass es gut läuft und wir anschließend durchatmen können.
Frage: Spitzenkandidaten wie Peter Obi sagen, dass Wahlentscheidungen unabhängig von Religion und ethnischer Zugehörigkeit getroffen werden sollen. Dabei ist bisher für viele Menschen wichtig gewesen, jemanden zu wählen, der der gleichen Religion angehört.
Kaigama: Wir müssen anerkennen, dass es zwei große Religionen in Nigeria gibt. Wenn Christen aber nur noch Christen wählen oder Muslime nur noch Muslime, polarisiert das die Gesellschaft und schafft mehr Probleme als je zuvor. Auch wollen wir weder eine rein muslimische oder eine rein christliche Partei haben, sondern immer eine Mischung. Das gilt aber auch für das Militär. Es ist nicht gut, wenn es von einer Religion oder ethnischen Gruppe dominiert wird.
Frage: Muss es also zu einer stärkeren Trennung von Religion und Politik kommen?
Kaigama: Religion ist wichtig, aber eine persönliche Entscheidung. Bei nationalen Entscheidungen geht es um alle Nigerianer. Und mit der Religion Politik zu betreiben, das ist gefährlich und moralisch inkorrekt.
Frage: Wünschen Sie sich ein Land, in dem man nicht sofort nach Religion und ethnischer Zugehörigkeit gefragt wird?
Kaigama: Ja. Menschen sollten in Ämter gewählt werden und Stellen erhalten, weil sie dafür qualifiziert sind und nicht aus anderen Gründen. Nigeria hat so viel Potenzial. Aber genau das hindert uns daran, dieses Potenzial zu nutzen. Es gibt sogar Menschen, die ihre Religion ändern, um eine Stelle zu erhalten oder Karriere zu machen.
Frage: Zum ersten Mal ist in Nigeria jeder vierte Wähler Schüler oder Student. Die junge Generation ist so präsent wie nie zuvor. Wie viel Einfluss hat sie?
Kaigama: Viel zu lange sind junge Menschen manipuliert worden, was sie müde und enttäuscht gemacht hat. Doch dann hat es die #EndSARS-Proteste [Anmerkung: Hauptsächlich junge Menschen protestierten im Oktober 2020 landesweit gegen Polizeigewalt, Dutzende starben.] gegeben. Seitdem sagen sie: Es reicht mit korrupten Politikern, die Gelder einstecken, anstatt sie beispielsweise für die Ausbildung junger Menschen zu nutzen. Das ist vielen heute sehr bewusst, weshalb sie sich Politiker wünschen, die zur Demokratie stehen.
Frage: Erstmals gibt es drei Kandidaten, die landesweit bekannt sind. Damit ist das höchste Staatsamt umkämpft wie nie zuvor.
Kaigama: Wir hoffen, dass dieses Mal der Ablauf korrekt und ehrlich ist. Wer verliert, sollte mit Würde verlieren, und junge Menschen dürfen nicht aufgestachelt werden. Das ist das einzige Rezept für Frieden. Passiert das nicht, werden die Jungen darauf reagieren.
Frage: Neben den Wahlen ist der Alltag im Moment von der Bargeldknappheit geprägt. Neue Naira-Scheine werden eingeführt, die es aber gar nicht gibt. Alte sind nicht mehr im Umlauf, und Millionen Menschen wissen nicht, wie sie die nächste Mahlzeit bezahlen sollen. Wie kann die Kirche helfen?
Kaigama: Auch die Kirche ist ein Opfer. Mittels Kollekte erhalten wir Geld von den Gottesdienstbesuchern. Wenn sie keins haben, haben wir auch keins. Selbst Bischöfe sagen mir, dass sie kein Bargeld mehr haben. Dann haben es auch Priester nicht. Wie soll die Kirche da helfen können? Es hätte so laufen müssen, dass Menschen ihr altes Geld gegen Neues eintauschen. Doch sie mussten es einzahlen und haben jetzt kein Bargeld mehr. Das war kurzsichtig, und wir alle leiden darunter.
Die Fragen stellte Katrin Gänsler (KNA)
KNA