Beate Gilles (Podium l.), Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), moderiert während einer "Working Session" der Europa-Etappe der Weltsynode am 7. Februar 2023 in Prag (Tschechien).
Ergebnisoffene Beratungen der Europa-Etappe der Weltsynode

In Prag ist die katholische Kirche ein weites Zelt

Prag ‐ Wenn Kirchendelegierte aus 40 Ländern Europas debattieren, prallen Kulturen aufeinander. Vom Ja zu LGBTQ-Liebesbeziehungen bis zum Nein zu Verhütungsmitteln ist alles vertreten. Kann es da einen Konsens geben?

Erstellt: 08.02.2023
Aktualisiert: 09.02.2023
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Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)

Erstmals in der langen Geschichte der katholischen Kirche in Europa tagt in dieser Woche in Prag eine Versammlung der Ortskirchen aus allen Ländern des Kontinents. Diese „Europa-Etappe“ ist Teil eines bis 2024 dauernden weltweiten Beratungsprozesses, den Papst Franziskus angeordnet hat, um die Kirche zu erneuern.

Auch in anderen Kontinenten finden solche Versammlungen statt, doch wohl nirgends prallen kirchenpolitische und theologische Strömungen so aufeinander wie in Europa. Von Verteidigern der katholischen Identität, die sich von postmoderner Beliebigkeit scharf abgrenzen, bis hin zu Befürwortern einer alle Lebens-, Liebes- und Glaubensvarianten einschließenden offenen Kirche ist hier viel vertreten.

Das Synodensekretariat im Vatikan hat den Prozess unter das Bibelzitat gestellt „Mach den Raum deines Zeltes weit“. Und es hat für den Ablauf Vorgaben gemacht, damit die Beratungen trotz unvereinbarer Positionen nicht Sieger und Besiegte hervorbringen. Diese Art von Synode nennt der Sekretär der Weltsynode, Kardinal Mario Grech aus Malta, die „katholische Art, das synodale Prinzip zu verwirklichen“. Sie unterscheidet sich deutlich von dem, was man im deutschsprachigen Raum als Synode oder Kirchenparlament kennt.

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Dort sind Synodalversammlungen ein eingeübtes Verfahren. Die evangelischen Landeskirchen und ihre Dachverbände machten es vor, später hat es auch die katholische Kirche kopiert. Man debattiert tagelang, zumeist über Texte, von denen manche am Ende zu kirchenrechtlichen Vorschriften werden. Sie regeln, was in der Kirche gelehrt wird, was geboten ist, was gefördert gehört und wem entgegenzutreten ist.

Das sichtbarste Werkzeug solcher Synoden ist das Abstimmungs-Gerät. Es ähnelt einer Fernbedienung. Durch das Drücken von Knöpfen können die Synodalen Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung zum Ausdruck bringen, und die Ergebnisse werden in absoluten und prozentualen Zahlen auf Großbildschirmen sichtbar.

Sind die erforderlichen Mehrheiten erreicht – in katholischen Versammlungen sucht man meist Zustimmungen von mehr als zwei Dritteln – dann gilt der vorgeschlagene Text als beschlossen. War die Debatte hitzig und das Abstimmungsergebnis ungewiss, gibt es Applaus der Mehrheit für das Ergebnis, und dann geht es zum nächsten Tagesordnungspunkt.

Mosaikartiges Bild

In der katholischen Variante, wie sie derzeit in Prag praktiziert wird, fehlt die Abstimmungs-Maschine. Stattdessen haben die Delegierten ein Gerät, mit dem sie den Sprachkanal für die Simultanübersetzung wählen. Denn die internationale Verfasstheit der katholischen Kirche bringt es mit sich, dass Beiträge in verschiedenen Sprachen vorgetragen werden.

Damit die Delegierten aus allen Ländern, auch den kleineren, gleichberechtigt zu Wort kommen, durfte in Prag jede der 39 Delegationen ein gleich langes Statement vortragen. So entstand ein mosaikartiges Bild von Hoffnungen und Sorgen, die das „Volk Gottes“ – so die neue Bezeichnung für die Nicht-Kleriker in der Kirche – und seine geistlichen Führer derzeit umtreiben.

Fast alle sorgen sich darum, dass ihnen die Jugend davonläuft. Die meisten wünschen sich unter dem Eindruck des Missbrauchsskandals eine Rückbesinnung auf den Kern der Botschaft Jesu. Und man will Umkehr, Erneuerung und neue Glaubwürdigkeit.

„Die internationale Verfasstheit der katholischen Kirche bringt es mit sich, dass Beiträge in verschiedenen Sprachen vorgetragen werden.“

Auf der praktischen Ebene gehen die Meinungen aber weit auseinander. Die einen wollen den Klerikalismus bekämpfen, den sie als Hauptursache des Missbrauchs sehen. Andere wollen den Klerus verteidigen, weil er für sie den Markenkern der katholischen Struktur ausmacht. Manche wollen eine Kirche, die niemanden ausgrenzt, egal wen er oder sie liebt. Andere wollen an der Morallehre festhalten und nichts gutheißen, was laut Bibel Sünde ist.

Diese oft widersprüchlichen Länder-Statements wurden angehört, immer wieder unterbrochen von Pausen des Gebets. Debatten oder Abstimmungen gab es nicht. Die Statements wurden bei einem Redaktionsteam eingereicht, das einen Text daraus formulieren sollte, der allen gerecht wird. Und dann saßen die Delegierten stundenlang in Stuhlkreisen nach Sprachgruppen geordnet zusammen und debattierten über „Eindrücke“, „Spannungen“ und „Fragen“. Was in diesen „geistlichen Gesprächen“ zur Sprache kam, wurde ebenfalls im Plenum vorgetragen.

Und dann gab es noch eine Reihe von „freien Beiträgen“, wieder ohne Debatten oder Abstimmungen. Bis zum Schluss blieb unklar, nach welchen Kriterien und Verfahren aus all dem ein Abschlusspapier zustande kommen würde, auf dessen Grundlage dann wiederum die Bischöfe am Freitag und Samstag weiter beraten und gegebenenfalls ein weiteres Papier beschließen wollen.

Zusammen unterwegs

Nach den Maßstäben eines deutschen Kirchenparlaments wirkt dieses Verfahren vage und nebulös, doch unter den Teilnehmern äußerte niemand Kritik daran. Im Gegenteil. Einer von ihnen, Alexandre Joly, Bischof von Troyes, fasste es so zusammen: „Man merkt von Sitzung zu Sitzung mehr, dass man zusammen unterwegs ist. Man weiß nicht genau, wo es hinführt und was dabei herauskommt, aber das gemeinsame Unterwegssein ist eine wichtige Erfahrung.“

Und Beate Gilles, die als Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz und Präsidiums-Mitglied des deutschen Reformprozesses „Synodaler Weg“ mit einer ganz anderen Debatten- und Abstimmungskultur vertraut ist, zeigte sich zufrieden mit dem Verfahren, das auch ihren Blick geweitet habe – und sie lobte die vielen Zeiten der Stille und des gemeinsamen Betens.

Noch ist ungewiss, ob die Methode des „Nebeneinanderlegens der unterschiedlichen Lesarten“ (Gilles) ausreicht, um die spürbaren Spannungen und den Drang nach Veränderung zu moderieren, der vor allem von denen kommt, die sich durch die bislang sehr klare Morallehre und Geschlechterordnung der Kirche diskriminiert und abgelehnt fühlen. Diese Frage wurde in Prag immer wieder gestreift, entschieden wird sie frühestens im Oktober in Rom.

KNA