Venezuela zwischen Luxus und Almosen
Caracas ‐ In kaum einem lateinamerikanischen Land ist die soziale Ungleichheit so ausgeprägt wie im angeblich sozialistischen Venezuela. Proteste offenbaren tiefe Gräben in der Gesellschaft.
Aktualisiert: 18.01.2023
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„Wir wollen keinen Bonus, wir wollen keine Lebensmittelzuteilung – wir wollen ein würdiges Gehalt“, steht auf den Plakaten der Lehrerinnen und Lehrer, die in Venezuela demonstrieren. Seit Tagen schon gehen sie auf die Straße, um auf ihre dramatische Lage aufmerksam zu machen. Ihr Gehalt reicht nicht einmal mehr, um die Kosten für Grundnahrungsmittel zu decken. Die sozialistische Regierung von Präsident Nicolas Maduro versprach nun eine Sonderzahlung von umgerechnet etwa 29,5 Dollar, um den Protesten die Wucht zu nehmen. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Während die Regierung Maduro Sanktionen der USA und Europa – die sie als „Wirtschaftskrieg“ bezeichnet – für die katastrophale Versorgungslage verantwortlich macht, ist während der neu aufgeflammten Proteste das Regime selbst Ziel der Kritik. In die reiht sich auch die katholische Kirche ein. Für einen heftigen medialen Aufschlag sorgte der Apostolische Verwalter von Barquisimeto, Bischof Victor Hugo Basabe, der am Wochenende kritisierte, dass „Blasen wirtschaftlicher Unwahrheit versuchen, die Realität vor der Welt zu verbergen“. Die Realität seien sieben Millionen Geflüchtete, darunter viele Jugendliche, die auf ihrer Flucht vor der katastrophalen Lage in Venezuela in ihren Ankunftsländern Ziel von Ausländerfeindlichkeit würden.
Neben der alltäglichen Armut und Verzweiflung kann man in Venezuela aber noch ein weiteres Phänomen beobachten: Krisengewinnler mit engen Verbindungen zur Regierung, die in neuem Reichtum schwelgen. In der Hauptstadt gibt es Berichten zufolge sogar ein „kleines Manhattan“ für jene Kunden, die auf der Suche nach Luxusmarken sind.
„Die venezolanischen Bischöfe haben in ihrem Schreiben zum Jahresbeginn 2023 die neuen Wirtschaftseliten des Landes als ein Produkt des sozialistischen Raubtierkapitalismus gegeißelt“, sagt Pater Martin Maier, Hauptgeschäftsführer des deutschen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, der sich gerade im Land ein Bild der Lage gemacht hat. „Mein Eindruck von vor Ort: Venezuela liefert tatsächlich ein Lehrbeispiel, wie eine Regierung ein Land systematisch zugrunde richten kann.“ Dies dann „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu nennen, sei angesichts der Lage der verarmten, hungernden Menschen schlicht zynisch.
Hälfte der Bevölkerung ohne Strom
Die Hälfte der Bevölkerung lebe ohne elektrischen Strom, die Trinkwasserversorgung sei immer wieder unterbrochen, die öffentliche Gesundheitsversorgung liege am Boden und die Inflationsrate mit 686 Prozent fresse den Lohn der Menschen auf, berichtet Pater Maier. Rege sich in der Bevölkerung Protest, reagiere die Regierung drakonisch. „Nur ein Beispiel: Im Armenviertel La Vega von Caracas sitzt ein Sozialaktivist schon seit einem halben Jahr im Gefängnis, weil er für eine bessere Wasserversorgung demonstrierte.“ Bewundernswert sei, dass es der Bevölkerung trotzdem gelinge zu überleben. Möglich ist das aber nur, weil viele zwei oder drei Berufe haben, oder dank der Überweisungen ihrer Familienmitglieder aus dem Ausland.
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„Solange in Venezuela weder Gewaltenteilung noch Rechtsstaatlichkeit, weder öffentliche Sicherheit noch Pressefreiheit oder ein Minimum an sozialer Gerechtigkeit herrschen, wird es keine Demokratie geben“, so Maier. Seine Forderung: „Die Verbesserungen der Beziehungen zu Kolumbien sowie die Aufnahme der Handelsbeziehung zwischen den USA und Venezuela als dem Land mit den größten Erdölreserven weltweit müssen jetzt von der internationalen Gemeinschaft genutzt werden, um den Aufbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzufordern.“ Ja mehr noch: Europa und die USA müssten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zur Voraussetzung für den Handel mit Venezuela machen, fordert der Adveniat-Chef.
Erst in dieser Woche verknüpfte die Regierung die Fortführung des Dialogs mit der Opposition mit einer Rücknahme der Sanktionen, sonst seien die Gespräche sinnlos. Kardinal Baltazar Porras, gerade zum Erzbischof von Caracas ernannte, ruft seine demonstrierenden Landsleute derweil zum Durchhalten auf: „Wir dürfen uns die Hoffnung nicht nehmen lassen.“ Die Überwindung der sozialen Ungleichheit sei nicht an einem einzigen Tag zu schaffen.kna