„Ein Krieg gegen Muslime, Christen und Animisten“
Dori ‐ Die Terroranschläge im Sahel hören nicht auf. Eine ganze Region leidet unter Gewalt, Vertreibung und Nahrungsmangel. Allein durch militärische Präsenz lasse sich das nicht verändern, sagt Laurent Dabire, katholischer Bischof von Dori, im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur.
Aktualisiert: 20.12.2022
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Frage: Herr Bischof, wie hat sich die Lage in Burkina Faso entwickelt?
Dabire: Hier hat es 2015 die ersten Entführungen und Anschläge gegeben. Im Lauf der Jahre hat sich die Lage verschlimmert. Anfangs waren Grenzregionen betroffen. Nach und nach gab es Angriffe auf staatliche Einrichtungen wie Polizeiwachen, Präfekturen, Gendarmerien, dann auch die Bevölkerung. Unter den Opfern sind Meinungsführer aller Religionen, traditionelle Herrscher, Zivilgesellschaft. Daraus hat sich eine schwere humanitäre Krise entwickelt.
Frage: Deutlich wird das auch an einer hohen Zahl von Binnenflüchtlingen.
Dabire: Aktuell sind das rund zwei Millionen. Einige von ihnen haben schon vor fünf oder sechs Jahren ihre Heimatdörfer verlassen. Das erschüttert die ganze Gesellschaft. Eine solche Situation lässt sich einige Monate oder ein bis zwei Jahre aushalten, aber nicht länger. Es gibt Dörfer, die menschenleer sind. In besser gesicherten Gegenden kommt es hingegen zu einer Überbevölkerung. Es mangelt an Unterstützung, Ressourcen sind knapp, was zu Konflikten zwischen Flüchtlingen und der lokalen Bevölkerung führt.
Frage: Wie erleben Sie den Alltag der Vertriebenen?
Dabire: Der ist sehr prekär. Viehzüchter etwa können ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Einigen sind vielleicht noch ein oder zwei Tiere als letzte Rettung geblieben. Es fehlt an Unterkünften, weshalb viele in Dörfern und Städten im Freien schlafen müssen. Besorgnis muss auch erregen, dass Kinder nicht mehr zur Schule gehen. Einige haben schon fünf Schuljahre verpasst. Was wird in 10 bis 20 Jahren aus diesen Kindern werden?
Frage: Kinder leiden am meisten unter der Krise?
Dabire: Kinder und Frauen. Viele Frauen sind allein und allen Arten von Missbrauch ausgesetzt. Kinder werden ebenfalls ausgenutzt. Sie werden zu möglichen Rekruten für Terrorgruppen und Banditen.
Frage: Dabei heißt es seit Jahren, dass der Terror im Sahel bekämpft werde. Für Mali gibt es die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (Minusma). Fünf Länder der Region haben sich zur G5-Sahel zusammengeschlossen. Zunehmend gibt es bilaterale Kooperationen zwischen Armeen.
Dabire: Trotz dieser Anstrengungen herrscht überall im Sahel Unsicherheit. Dafür ist der frühere Präsident Roch Kabore scharf kritisiert worden, ebenso die Militärs, die die Macht übernommen haben [am 24. Januar putschte Paul-Henri Damiba gegen Kabore; d. Red.]. Jetzt warten wir darauf, ob die jüngste Entwicklung eine Verbesserung bringt [am 30. September ergriff Hauptmann Ibrahim Traore die Macht, ebenfalls durch einen Staatsstreich; d. Red.].
Frage: Welche Bedeutung hat das Militär?
Dabire: Es kann Sicherheit bringen. In der Nähe von Dori gibt es beispielsweise zwei Straßenbauprojekte. Werden sie durch den Schutz der Armee wieder aufgenommen, heißt das: Der Staat ist zurück und bringt Sicherheit.
Frage: Welche weiteren grundsätzlichen Veränderungen sind nötig?
Dabire: Es gilt, den Alltag zu verbessern und vor allem der Jugend und den Benachteiligten Hoffnung zu bringen. Wenn es Hoffnung, ein Ziel gibt, lässt sich dafür kämpfen. Menschen müssen beispielsweise wieder in der Lage sein, von ihrer Arbeit zu leben. Viele sind zu Spendenempfängern geworden. Das nimmt ihnen ihre Würde.
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Frage: Wie wirkt sich das auf das Zusammenleben der ethnischen Gruppen und Religionen aus?
Dabire: Zwischen den ethnischen Gruppen verschlechtert sich das Zusammenleben auf lokaler Ebene. Zwischen den Religionen bleibt es zum Glück gut. Wir erleben hier keinen Krieg der Religionen, sondern einen, den uns die Terroristen gebracht haben, die manchmal die Religion als Grund anführen. Hier ziehen die Terroristen gegen alle in den Krieg: Christen, Muslime, Animisten. Religion bietet manchen Menschen aber einen Vorwand für ihre terroristischen Aktivitäten.
Frage: Trotzdem hält die Bevölkerung zusammen?
Dabire: Ja, sonst hätten wir schon längst einen Bürgerkrieg oder einen der Religionen. Stattdessen bleiben die Menschen ihrer alten Solidarität treu. So leben etwa 60 bis 70 Prozent der Binnenflüchtlinge in Familien. Das gibt Hoffnung, dass ein gutes Leben in Gemeinschaft weiter möglich ist.
Die Fragen stellte Katrin Gänsler (KNA)