Abschiebestreit zwischen Urlaubsparadies und Vereinten Nationen
Dominikaner: UN-Aussagen „inakzeptabel und unverantwortlich“

Abschiebestreit zwischen Urlaubsparadies und Vereinten Nationen

Santo Domingo ‐ Die Dominikanische Republik bekommt die Krise im Nachbarland Haiti besonders zu spüren. Nun gab es scharfe Kritik der Vereinten Nationen an der Abschiebepraxis. Auch die Replik aus Santo Domingo fiel heftig aus.

Erstellt: 11.11.2022
Aktualisiert: 15.11.2022
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Von Tobias Käufer (KNA)

Monatelange Blockade von Treibstofflagern, ein Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch, allein acht ermordete Journalisten im laufenden Jahr: Haiti, das Armenhaus der westlichen Hemisphäre, steht einmal mehr ab Abgrund. Das alles führt zur massiven Fluchtbewegungen ins Nachbarland Dominikanische Republik, nach ganz Lateinamerika und in die USA. Die Regierung des Urlaubsparadieses wiederum reagiert angesichts der humanitären Herausforderung wie so viele andere Länder auch: Sie lässt einen Grenzzaun bauen und schiebt ab.

Genau das aber sei angesichts der bedrohlichen Lage in Haiti der falsche Weg, kritisiert der neue UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk. „Vor einer Woche habe ich dazu aufgerufen, die Abschiebungen nach Haiti angesichts der Menschenrechts- und humanitären Krise, mit der das Land konfrontiert ist, zu stoppen. Es beunruhigt mich zu sehen, dass die erzwungene Rückführung von Haitianern aus der Dominikanischen Republik nach Haiti weiter fortgesetzt wird“, heißt es in einer Erklärung von Türks Büro, die am Donnerstag verbreitet wurde.

Unablässige bewaffnete Gewalt und systematische Menschenrechtsverletzungen in Haiti ermöglichten derzeit keine sichere, würdevolle und nachhaltige Rückkehr in das Land. Zugleich forderte Türk die dominikanischen Behörden auf, mehr zu tun, um Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und verwandte Formen von Intoleranz aufgrund von nationaler oder ethnischer Herkunft oder des Einwanderungsstatus zu verhindern.

In der Dominikanischen Republik kamen diese Aussagen der UN überhaupt nicht gut an: „Die Einwanderungspolitik jedes Landes liegt im Hoheitsbereich der Regierung. Daher sind diese Aussagen inakzeptabel und unverantwortlich“, erklärte der dominikanische Präsident Luis Abinader. Die Dominikanische Republik leide am meisten unter der Krise in Haiti; sie sei wirtschaftlich viel stärker betroffen und biete den Haitianern mehr Unterstützung als alle anderen Länder der Welt, so der Präsident. Mehr könne nicht mehr verlangt werden. Seine Regierung werde die Abschiebepraxis fortführen und sogar noch ausbauen.

Im laufenden Jahr wurden laut Angaben der Zeitung „Listin Diario“ bislang 60.204 Menschen aus Haiti in ihre Heimat abgeschoben. Unterdessen ist die Lage in Haiti weiter dramatisch. Selbst vor kirchlichen Einrichtungen machen kriminelle Banden in dem katholisch geprägten Land inzwischen nicht mehr Halt. Allein in den vergangenen zwei Monaten wurden vier Lager der Hilfsorganisation Caritas angegriffen und geplündert. Die offenbar organisierten Plünderungen legten die Arbeit vor Ort praktisch lahm, hieß es nun in einer Mitteilung der Organisation. Der Schaden sei enorm; es fehlten die nötigen Mittel, um weiter zu funktionieren. Die Caritas warnt, dass die Gewalt „die Umsetzung von Projekten in Haiti weiter verzögern“ werde.

Angesichts der seit Monaten anhaltenden Dauerkrise zogen auch die Bischöfe des ärmsten Karibikstaates jüngst ein verheerendes Fazit. In allen Teilen des Landes herrschten Armut und Unsicherheit. Allein in den vergangenen Monaten wurden Hunderte Menschen bei Kämpfen zwischen bewaffneten Banden getötet oder verletzt oder gelten als vermisst. Zudem liegen Berichte über schwere sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen vor; Kinder würden von rivalisierenden Banden zwangsrekrutiert. Vor diesen Zuständen müssen Zehntausende Menschen aus den ärmsten Regionen der Hauptstadt Port-au-Prince fliehen, darunter auch unbegleitete Kinder. Aber: wohin?

KNA

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