Brasiliens Ex-Präsident Lula steht auf einer Bühne am Mikrofon
Wahl am 2. Oktober

Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva vor Comeback?

Nach 580 Tagen Haft liegt Lula da Silva in Umfragen zur Präsidentschaftswahl vor Amtsinhaber Jair Bolsonaro. Das Credo von Ex-Präsident Lula: Er will das geschundene Land Brasilien versöhnen und heilen.

Erstellt: 19.09.2022
Aktualisiert: 19.09.2022
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Er ist zurück und will es dieses Mal besser machen. Das bekräftigt Luiz Inacio Lula da Silva immer wieder. „Damals wusste ich nicht, dass es möglich wäre. Jetzt will ich es machen“, verspricht der ehemalige Gewerkschaftsführer, der Brasilien von 2003 bis 2010 regierte, in einem Fernseh-Interview. Als Präsident hatte er Millionen Familien mit seinen Sozialprogrammen aus der Armut geholfen. Doch die Errungenschaften seien unter der Regierung des Ex-Militärs Jair Messias Bolsonaro ab 2019 zunichte gemacht worden, so der 76-Jährige.

Lula hatte bei seinem Amtsantritt das Glück, dass Brasiliens Staatskasse dank eines außerordentlichen Booms der Rohstoffpreise prall gefüllt war. Damit konnte er die Zahlungen an die Ärmsten ausbauen. In seinem letzten Amtsjahr 2010 verlieh die UNO ihm den Titel „Weltmeister bei der Bekämpfung des Hungers“. Doch die Wirtschaftskrise unter der von ihm ausgewählten Nachfolgerin Dilma Rousseff (2011-2016) stürzte Millionen Brasilianer zurück in die Armut. Heute, nach zwei Jahren Pandemie, sollen laut Studien wieder 33 Millionen der 210 Millionen Bürger unter Hunger leiden.

Er wisse aus eigener Erfahrung, was Hunger bedeute, erzählt Lula auch auf seinen aktuellen Wahlkampfveranstaltungen. Seine alleinerziehende Mutter, die nie Lesen und Schreiben lernte, habe oft nicht gewusst, wie sie die acht Kinder durchbringen sollte. Als Kind war Lula aus dem armen Nordosten in die südbrasilianische Industriestadt Sao Paulo gekommen. Vom Schuhputzer schaffte er es dort zu einer Ausbildung als Schlosser. In den 70er Jahren stieg er zum Gewerkschaftsführer auf, der es mit der Militärdiktatur (1864-1985) aufnahm. Anfang der 80er Jahre gründete er die Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT) - im Kampf gegen soziale Ungleichheit und Korruption.

Dreimal – 1989, 1994 und 1998 – scheiterte Lula als Kandidat der PT für Brasiliens Präsidentschaft. Als er 2002 schließlich gewann, versprach er, dass jeder Brasilianer dreimal am Tag etwas zu essen haben sollte. Daran möge man ihn messen. Doch rasch wurde aufgedeckt, dass die PT im Kongress die Unterstützung von Oppositionspolitikern erkaufte. Der „Mensalao“-Skandal (Taschengeld) kostete Lula fast die Wiederwahl 2006. Doch er siegte und führte Brasilien in seiner zweiten Amtszeit sicher durch die von der Lehman-Brothers-Pleite ausgelöste Weltwirtschaftskrise. In Lulas letztem Amtsjahr 2010 wuchs Brasilien um rasante 7,5 Prozent. Das Land stieg vom 13. auf den 6. Platz der größten Volkswirtschaften auf.

Prozesse gegen Lula wurden annulliert

Doch der unter seiner Nachfolgerin Rousseff von Ermittlern aufgedeckte Schmiergeldskandal „Petrolao“, in den Unternehmer, Banker und Politiker nahezu aller Parteien verwickelt waren, stürzte das Land in eine moralische und wirtschaftliche Krise. Als Rousseff 2016 vom Kongress gestürzt wurde, braute sich das Unheil auch über Lula zusammen. Wegen Korruption und Geldwäsche – er soll sich von Baufirmen ein Luxusapartment und den Ausbau eines Wochenendhauses finanziert haben lassen – wurde er verurteilt. 580 Tage lang saß er im Gefängnis; sein Widersacher Bolsonaro gewann 2018 die Wahlen.

Mittlerweile sind alle Prozesse gegen Lula annulliert. Sein Richter Sergio Moro sei befangen gewesen. Gehackte Gespräche zwischen Moro und Ermittlern haben bewiesen, dass die Prozesse manipuliert wurden, um Lula vor den Wahlen 2018 aus dem Rennen zu nehmen.

Doch nun kann er bei den Wahlen am 2. Oktober ohne Probleme antreten. In jüngsten Umfragen führt er mit 45 Prozent deutlich vor Bolsonaro, der lediglich auf 33 Prozent kommt. Ein Sieg bereits im ersten Wahlgang scheint möglich. Kommt er nicht auf über 50 Prozent, winkt am 30. Oktober die entscheidende Stichwahl.

Derzeit schlägt Lula versöhnliche Töne an. Rache oder Groll gegen seine ehemaligen Ankläger fühle er nicht, sagt er. Nur Bolsonaro greift er an, wegen dessen Weigerung, die Pandemie ernst zu nehmen, was zu mittlerweile 685.000 Corona-Toten geführt habe. Die der Pandemie folgende Wirtschaftskrise lastet er genauso dem Ex-Militär an wie Verschlechterungen der Arbeiterrechte und Einbußen beim Mindestlohn. „Ich glaube, dass es möglich ist, dieses Land wieder auf Vordermann zu bringen und den Menschen ein besseres Leben zu bieten“, sagt Lula. „Würde ich daran nicht glauben, bliebe ich besser zu Hause.“

Von Thomas Milz (KNA)