Menschen pflanzen einen Baum

Hunger hat viele Ursachen

Etwa jeder zehnte Mensch leidet an chronischem Hunger. Dabei ist er ein vermeidbares Übel.

Erstellt: 11.07.2022
Aktualisiert: 27.07.2022
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Hunger und Unterernährung waren viele Jahrhunderte lang ständige Begleiter der Menschheit. Heute ist Hunger jedoch ein vermeidbares Übel, denn es gäbe mehr als genug Lebensmittel für alle: Laut Schätzungen der Vereinten Nationen galt 2019 fast ein Drittel der Weltbevölkerung (also rund 2 Milliarden Menschen) als deutlich übergewichtig, während etwa ein Drittel der weltweit erzeugten Lebensmittel im Müll landete. Gleichzeitig litt etwa jeder zehnte Mensch (mehr als 690 Millionen) an chronischem Hunger.

Wenn es heute zu Hungersnöten kommt, so liegt das fast immer an einer Kombination mehrerer Ursachen, die sich grob in zwei Themengebiete einteilen lassen:

1. Die Verknappung von Lebensmitteln durch sinkende Ernten

2. Die ungerechte Verteilung der vorhandenen Ressourcen

Das erste Problemfeld, die sinkenden landwirtschaftlichen Erträge, wird sich wohl in Zukunft noch weiter verschärfen: Durch die Folgen des Klimawandels nehmen örtliche Extremwetterereignisse wie Dürren und Waldbrände, Stürme und Starkregen deutlich zu; viele nützliche Tierarten, welche Schädlinge vertilgen, die Bodenqualität verbessern oder Blüten bestäuben, sind in ihrem Bestand bedroht. Weitere Faktoren, durch die viel wertvolle Anbaufläche verloren geht, sind das ausufernde Wachstum von Städten und Straßen, schlechtes landwirtschaftliches Management, aber auch Kriege und generelle Umweltzerstörung.

Auf einer großen Fläche sind verkohlte und verbrannte Baumstämme umgeben von jungen grünen Pflanzen
Bild: © Escher/Adveniat

Extremwetterereignisse wie Dürren, Waldbrände, Stürme und Starkregen nehmen deutlich zu

Ein wichtiger Beitrag zur Rettung der landwirtschaftlichen Nutzflächen ist die Umstellung auf nachhaltigere Anbaumethoden. Dies führt zwar kurzfristig zu niedrigeren Erträgen, erhöht aber langfristig die Stressresistenz und Leistungsfähigkeit unserer Äcker, Wiesen und Wälder. Da jedoch zu befürchten ist, dass die Ernteausfälle weltweit weiterhin deutlich zunehmen werden, ist es umso wichtiger, auch gegen die zweite Hauptursache von Hunger zu kämpfen: Die ungerechte Verteilung der vorhandenen Ressourcen.

Hunger zeigt vielfältige Ungerechtigkeiten

Hunger ist eng mit Armut und ungerechter Chancenverteilung verbunden: Er trifft nicht diejenigen, die keine eigene Anbaufläche besitzen (ansonsten würden Hungersnöte fast nur in Städten auftreten), sondern trifft die wirtschaftlich schwächsten, allen voran Kleinbauern oder Tagelöhner, die sich in Krisenzeiten keine teuren Lebensmittel leisten können. Eine durchschnittliche Familie in Europa verwendet etwa 10% ihrer monatlichen Ausgaben, um damit Lebensmittel zu kaufen, in den meisten Ländern Afrikas werden über 50% der Ausgaben für die Ernährung aufgewendet. Hier reicht eine kurze Krise, sei es in Form von Missernten, von Arbeitslosigkeit, Krankheiten oder plötzlichen Preiserhöhungen, um viele Familien in ihrer Existenz zu bedrohen.

Hunger und Mangelernährung sind damit auch immer Anzeichen für vielfältiges gesellschaftliches Versagen: für unzureichende Sozialsysteme, fehlende demokratische Kontrollen und Mitsprache, für Korruption und ungleiche Chancenverteilung, aber auch für mangelnde internationale Solidarität und unfaire Handelsbeziehungen. Dementsprechend sind die ersten und häufigsten Opfer von Hungersnöten stets diejenigen, die am wenigsten „Einfluss“ besitzen: Kinder und Frauen, Angehörige von Minderheiten oder vermeintliche „Gegner“ der jeweiligen Regierungen, Geflüchtete und indigene Bevölkerungsgruppen, deren traditionelle Landrechte nicht respektiert werden.  

Der Kampf gegen Hunger nützt allen

Der Kampf gegen die vielfältigen Ursachen des Hungers hilft nicht nur den Ärmsten, sondern trägt dazu bei, die gesamte menschliche Gesellschaft gerechter und krisensicherer zu machen.

Mehrere Menschen setehen auf einem Acker und tragen Werkzeug und junge Pflanzen
Bild: © Stefan Einsiedel

Ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen den Hunger ist die Umstellung auf nachhaltige Landwirtschaft

Ein wichtiger Bestandteil ist die Förderung einer nachhaltigeren Landwirtschaft mit fairen Preisen für hochwertige, regionale Lebensmittel. Dazu gehört die Reduktion von Billigfleisch, das nur Opfer kennt: durch den Import von Kraftfutter aus Ländern, die eigentlich zuerst ihre eigene Bevölkerung versorgen sollten, durch das Leid der Tiere in ressourcenintensiver Massentierhaltung, durch die Dumpinglöhne in den Schlachtbetrieben, durch die Gesundheitsrisiken von zu hohem Fleischkonsum und durch den Export von billigen Fleischresten, die lokale Märkte in den Schwellenländern zerstören.

Der Kampf gegen Hunger und strukturelle Ungerechtigkeiten verhindert aber auch viele ökologische Verzweiflungstaten der Ärmsten: Abholzung der Wälder, Brandrodung, illegale Wilderei in Schutzgebieten…

Vor allem aber helfen Bildung und Teilhabe, um Hunger und soziale Ungerechtigkeiten zu bekämpfen: Dies stärkt die örtlichen Zivilgesellschaften, um sie widerstandsfähiger gegen die unterschiedlichsten Krisen zu machen. Denn Hunger hat zwar viele Ursachen, kann aber auch auf vielfältige Weise bekämpft werden – zum Vorteil Aller.

Von Dr. Stefan Einsidel, Zentrum für Globale Fragen, Hochschule für Philosophie München

Welthungerbericht

Die aktuellsten Zahlen und Statistiken finden Sie auf der Webseite der Welternährungsorganisation FAO:

Für eine Welt ohne Hunger

Das Ende von Hunger gehört zu den wichtigsten Entwicklungszielen der Vereinten Nationen. Dieses Ziel wird aber nur Wirklichkeit werden, wenn kleinbäuerliche Produktionssysteme massiv gestärkt werden und ein grundlegender Wandel der Agrar- und Ernährungspolitik weltweit eintritt. Dafür setzt sich Misereor gemeinsam mit seinen Partnerorganisationen ein.

Studien zu Hunger, Welthandel und sozial-ökologischem Wandel

Die interdisziplinäre Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ verfasst im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz regelmäßig Analysen und Empfehlungen zu den Themen Hunger, fairer Handel und sozial-ökologischer Wandel: