Das „dunkle Gesicht der Globalisierung“
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Das „dunkle Gesicht der Globalisierung“

Der Weihbischof Ansgar Puff äußert sich im Interview zu Menschenhandel und zur Situation von Zwangsprostituierten.

Erstellt: 09.02.2018
Aktualisiert: 14.09.2022
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Vom Thema Menschenhandel war in den Koalitionsverhandlungen der Bundespolitik bislang nichts zu hören, beklagt der Kölner Weihbischof Ansgar Puff. Dabei habe ihm seine Teilnahme an der Santa Marta Konferenz gegen Menschenhandel, die am Freitag in Rom zu Ende ging, wieder das „dunkle Gesicht der Globalisierung“ vor Augen geführt. Vor allem die Situation von Zwangsprostituierten bereitet ihm Sorge.

Frage: Herr Weihbischof, Sie haben im Auftrag der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz zum ersten Mal an der Santa Marta Konferenz gegen Menschenhandel in Rom teilgenommen. Welchen Eindruck hatten Sie von dem Treffen?

Puff: Ich bin begeistert und entsetzt zugleich. Begeistert bin ich davon, dass sich bei der Konferenz 130 Menschen aus aller Welt engagiert und fachkundig bemühen, dieses furchtbare Verbrechen des Menschenhandels anzugehen. Entsetzt bin ich, weil ich während dieser Konferenz in „das dunkle Gesicht der Globalisierung“ geblickt habe, wie es Kardinal Vincent Nichols bei dem Treffen ausgedrückt hat. Wir haben über Themen wie Prostitution, Arbeitsausbeutung, Bettlergruppen und Organhandel gesprochen. Die Verflechtungen des Menschenhandels sind international und deshalb ist es wichtig, dass die Santa Marta Group international zusammengesetzt ist und dort nicht nur Bischöfe, sondern auch Ordensleute und höhere Polizeibeamte zusammenkommen.

Frage: Bei der diesjährigen Konferenz ging es um regionale Kooperationen einzelner Länder im Kampf gegen den Menschenhandel. Wie könnten diese aussehen?

Puff: Die Santa Marta Konferenz ist ja ein Austausch-Forum und so haben die verschiedenen Länder von ihren Erfahrungen im Umgang mit Menschenhandel berichtet. Es gab Berichte aus Nigeria, Litauen, Europa, Thailand, USA. In Deutschland etwa gibt es viele Menschen aus Osteuropa oder Nigeria, die unter Menschenhandel leiden müssen. Das bedeutet für uns, dass wir mit kirchlichen Ansprechpartnern aus diesen Ländern enger zusammenarbeiten wollen. Da sind erste Kontakte geknüpft worden, aber das sind Hausaufgaben für die nächsten Jahre.

Der Weihbischof wird auf jeder Seite von zwei Personen flankiert
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Von links: Dieter Schiffels (BKA), Carsten Moritz (BKA), Weihbischof Ansgar Puff, Alexander Kalbarczyk, Sr. Beatrice Mariotti (Solwodi)

Frage: Haben auch ehemalige Opfer von Menschenhandel bei der Konferenz vorgesprochen?

Puff: Nein, es waren keine Betroffenen dabei, aber allein, wenn man sich die nackten Zahlen vor Augen führt, sind weltweit über 40 Millionen Personen von Menschenhandel betroffen. Das ist die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands. Wenn man bedenkt, dass das alles nur für Geld geschieht – das ist doch schockierend. Allein in Europa werden jedes Jahr 25 Milliarden Euro mit organisiertem Menschenhandel verdient. Ich wollte die Zahl erst gar nicht glauben. Die Ideologie, die dahintersteckt, macht den Menschen zur Ware, zum Gegenstand.

Frage: Der Kampf gegen den Menschenhandel braucht mehrere Akteure: staatliche, zivilgesellschaftliche – welche Rolle spielt die Kirche hierbei?

Puff: Wichtig ist, dass man die Spirale des Schweigens durchbricht. Dass man den Opfern insofern eine Stimme gibt und sie stark macht, indem man den Menschenhandel zum Thema macht. Es ist zum Beispiel erschütternd, wie groß mittlerweile in Deutschland die gesellschaftliche Akzeptanz für Prostitution ist. Dabei sind unter den Prostituierten genug Frauen, die dazu gezwungen werden und darunter leiden. Im Grunde geht es darum, dass man deutlich macht: Das ist ein No-Go! Ich glaube, da können die Kirchen viel tun, indem sie die Spirale des Schweigens durchbrechen und Öffentlichkeit schaffen – auch mithilfe des Papstes. Wichtig ist auch die Ermutigung der Opfer von Menschenhandel. Da machen Ordensfrauen einen sehr guten Job, da sie sehr eng mit den Betroffenen arbeiten. In unserer Delegation war auch eine Schwester der Frauenrechtsorganisation Solwodi aus Berlin. Es ist wichtig, dass Frauen im kirchlichen Auftrag so etwas tun.

Frage: Deutschland gilt ja als „Bordell Europas“ und Zwangsprostitution ist nach wie vor ein großes Problem. Würden Sie das Sex-Kauf-Verbot wie in Schweden befürworten, das die Bestrafung von Freiern vorsieht?

Puff: Es gibt seit dem 1. Juli vergangenen Jahres das Prostituiertenschutzgesetz. Das reicht aber nicht, um Zwangsprostitution wirksam zu bekämpfen. Laut Bundeskriminalamt gab es 2016 363 Ermittlungsverfahren zu Zwangsprostitution mit insgesamt 488 Opfern. So viele afrikanische Opfer wie das BKA für ganz Deutschland anführt haben wir allein schon in Berlin. Es muss also eine immense Dunkelziffer geben. Bei den Ermittlungsverfahren des BKA sind übrigens 214 Opfer minderjährig gewesen. Ich persönlich finde es grenzwertig, dass mit dem Prostituiertenschutzgesetz Prostitution als Beruf anerkannt ist. Ich habe in meiner Zeit als Pfarrer mit einer christlichen Hausgemeinschaft in Düsseldorf Bordellbesuche gemacht und mit den Leuten gesprochen, ihnen als Seelsorger beigestanden. Gerade von den Südamerikanerinnen und Afrikanerinnen macht das keine freiwillig, sie leiden sehr unter ihrer Situation. Dann zu sagen, das sei ein normaler Beruf – das finde ich nicht richtig.

Frage: Haben Sie generell das Gefühl, dass es in Deutschland beim Thema Menschenhandel ein Problembewusstsein gibt?

Puff: Bei den Koalitionsverhandlungen habe ich da kein Wort davon gehört. Ich glaube, das Thema ist überhaupt nicht auf der Agenda und wir haben da ein großes Stück Arbeit vor uns, das zur Sprache zu bringen. Der Platz der Kirche ist an der Seite der Schutzlosen, Ausgebeuteten und Versklavten. Wir müssen für diese Menschen eine Lobby sein und den Menschenhandel ächten.  

Das Interview führte Claudia Zeisel.