„Nicht für, sondern mit den Menschen“
Bild: © Misereor

„Nicht für, sondern mit den Menschen“

Der Taifun Haiyan auf den Philippinen ist ein Jahr her. Das Erdbeben auf Haiti jährt sich zum fünften Mal. Und am 26. Dezember erinnern wir uns an die furchtbaren Bilder der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean vor 10 Jahren. Im Interview erklärt Misereor -Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon, welche Schwierigkeiten sich beim Wiederaufbau nach solchen Katastrophen ergeben.

Erstellt: 10.11.2014
Aktualisiert: 15.11.2022
Lesedauer: 

Der Taifun Haiyan auf den Philippinen ist ein Jahr her. Das Erdbeben auf Haiti jährt sich zum fünften Mal. Und am 26. Dezember erinnern wir uns an die furchtbaren Bilder der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean vor 10 Jahren. Im Interview erklärt Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon, welche Schwierigkeiten sich beim Wiederaufbau nach solchen Katastrophen ergeben.

Frage: Nach Katastrophen leistet Misereor gemeinsam mit seinen Partnerorganisationen vor Ort Hilfe zum Wiederaufbau, zum Beispiel auf den Philippinen. Warum dauert es oftmals so lange, bis die Menschen in den Katastrophengebieten wieder in festen Wohnungen und Häusern leben können?

Bröckelmann-Simon: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen sind die lokalen Regierungsvertreter oft nicht in der Lage, die Menschen ausreichend zu unterstützen – wie zum Beispiel in Haiti. Auch Korruption ist oft ein großes Problem. Zum anderen machen Wiederaufbaumaßnahmen nur Sinn, wenn sie gut geplant und auf lange Sicht hin entwickelt sind. Dafür ist die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort unabdingbar.

Bild: © Elmar Noé/Misereor

Nach Haiyan haben wir beispielsweise über lokale Partnerorganisationen, die seit Jahrzehnten in den Regionen arbeiten, sofort Nothilfe geleistet. Bevor der Wiederaufbau aber losging, haben sie Daten erhoben und Konzepte entworfen, die sie wiederum mit der Bevölkerung diskutiert und weiterentwickelt haben. Die Zusammenarbeit von Experten und lokaler Bevölkerung sorgt dafür, dass die Maßnahmen an die Bedürfnisse angepasst und damit wirklich nachhaltig sind. Direkt loszubauen, ohne die Umstände zu berücksichtigen und ohne die Menschen schon in die Planungen miteinzubeziehen, ist nicht zielführend, auch wenn die Medien solche Bilder gerne sehen würden.

Gerade in akuten Notsituationen gibt es auf den Bildschirmen den Prototyp des ausländischen Helfers, der direkt nach Katastrophen einfliegt und scheinbar genau weiß, was am besten ist für die Menschen. Der dann aber genauso schnell wieder weg ist. Vorerfahrungen im Land und Vertrautheit mit der lokalen Kultur, die Berücksichtigung vorhandener Strukturen – all das scheint keine Rolle zu spielen. Die Gefahr ist, dass so Projekte an den Bedürfnissen der Menschen vorbeilaufen.

Frage: Die Beteiligung der Betroffenen mag ja oft Sinn machen, aber nicht jeder Fischer ist in der Lage, Häuser wiederaufzubauen.

Bröckelmann-Simon: Natürlich nicht. Dafür gibt es lokale Experten oder auch Fachleute aus Ländern, die ähnliches erlebt haben. Nach dem Tsunami im Indischen Ozean haben zum Beispiel in Banda Aceh Architekten einer unserer Partnerorganisationen aus der indischen Erdbebenregion Gujarat die Menschen beraten und sie darin geschult, wie man erdbebensichere Häuser planen und bauen kann. Aber die Leute vor Ort haben eine oft unterschätzte Expertise. Sie wissen am besten, was dringend benötigt wird, kennen die politischen Stellen, die einbezogen werden müssen, und können mögliche Konflikte frühzeitig erkennen.

Bild: © KNA

Es ist auch wichtig, mit lokalen Handwerkern und Unternehmen zusammen zu arbeiten und lokale Materialien zu nutzen. Das sichert Arbeitsplätze, den Unternehmern Einkommen und trägt dazu bei, die regionale Wirtschaft zu stabilisieren. Gleichzeitig stärkt es die Gemeinschaft, wenn die Menschen zwar mit Unterstützung von außen, aber in Eigenverantwortung den Wiederaufbau angehen.

Frage: Misereor arbeitet ausschließlich mit lokalen Partnerorganisationen zusammen. Wieso?

Bröckelmann-Simon: Unsere Partner sind und bleiben vor Ort, kennen sich aus und haben das Vertrauen der Betroffenen. Und sie wissen, wer die Hilfe am dringendsten braucht. Denn in der Regel trifft es die Ärmsten der Armen am härtesten. Sie haben keine Rücklagen und wenig Schutzmöglichkeiten. Deshalb brauchen sie auch am schnellsten Hilfe. Ein Wiederaufbau ist nur sinnvoll, wenn er zu besseren Verhältnissen führt und die Menschen vor den Folgen künftiger Katastrophen schützt. Dabei sind lokale Partner von zentraler Bedeutung: Ihr Handeln und Lernen in und aus der Katastrophe ist Grundlage zukünftiger Prävention. Durch die Mitarbeiter bleibt das Wissen vor Ort. Nur so ist Hilfe nachhaltig möglich und sinnvoll.