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Guatemalas verpasste Chance

Helfer brachten Guatemalas Ex-Diktator Efrain Rios Montt zu Wochenbeginn in den Gerichtssaal, auf einer Trage liegend. Das Bild war eine Botschaft: Der heute 88-Jährige sei gar nicht verhandlungsfähig. Doch diese Trumpfkarte mussten die findigen Anwälte des greisen Despoten erst gar nicht ziehen.

Erstellt: 08.01.2015
Aktualisiert: 15.11.2022
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Helfer brachten Guatemalas Ex-Diktator Efrain Rios Montt zu Wochenbeginn in den Gerichtssaal, auf einer Trage liegend. Das Bild war eine Botschaft: Der heute 88-Jährige sei gar nicht verhandlungsfähig. Doch diese Trumpfkarte mussten die findigen Anwälte des greisen Despoten erst gar nicht ziehen.

Das zuständige Gericht zerstörte mit einem Federstrich gleich zu Prozessbeginn die Hoffnungen der Opfer auf eine juristische Aufarbeitung der Schreckensherrschaft (1982–1983). Richterin Jeaneth Valdez sei befangen, weil sie ihre Doktorarbeit über den Völkermord während des Bürgerkrieges geschrieben habe, argumentierten die Anwälte. Schon nach drei Stunden war der Spuk vorbei.

Bis ein neuer Vorsitzender Richter gefunden ist, wird nun wieder wertvolle Zeit vergehen. Und sollte der guatemaltekischen Justiz dies zügig gelingen, werden die Anwälte vermutlich die Karte ziehen, die sie dieses Mal im Ärmel behielten: den Gesundheitszustand des Angeklagten.

Ein Schlag ins Gesicht

Damit dürfte vor allem eines klar sein: Der „Schlächter der Indios“, wie Rios Montt wegen der während seiner Amtszeit verübten Massaker an der indigenen Bevölkerung genannt wird, wird aller Voraussicht nach ungeschoren davonkommen. Und Guatemala verpasst damit erneut eine historische Chance, den Völkermord aufzuarbeiten und einen der Hauptverantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Für die Opfer ist das ein Schlag ins Gesicht.

Durch einen Militärputsch kam Rios Montt im März 1982 an die Macht. Seine Amtszeit dauerte zwar nur 15 Monate; doch bis August 1983 war der Ex-General für eine Schreckensherrschaft verantwortlich, die selbst im brutalen guatemaltekischen Bürgerkrieg ihresgleichen suchte. Einem UN-Bericht zufolge machten seine Schergen 448 Dörfer dem Erdboden gleich.

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Im Mai 2013 war Rios Montt wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Doch das Verfassungsgericht hob das Urteil wegen angeblicher Verfahrensfehler auf. Danach gelang es seinen Anwälten mit juristischen Winkelzügen, ein neues Verfahren zu verhindern. Richterinnen wurden abgelehnt, Verfahrensfehler bemängelt.

Kirche an der Seite der Opfer

Juristen, die sich für eine Verurteilung Rios Montts eingesetzt hatten, waren nach Angaben der Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) einer „Kampagne der Stigmatisierung und der Demütigungen“ ausgesetzt. Der Erzbischof von Guatemala-Stadt, Oscar Julio Vian Morales, zeigte sich bereits nach dem Scheitern der ersten Wiederaufnahme des Verfahrens tief enttäuscht und würdigte die Rolle der Zeugen, die viele Strapazen auf sich genommen hätten, um gegen den Diktator auszusagen: „Sie müssen sich missbraucht und missachtet fühlen“, sagte er damals.

Rios Montt war einst als Präsidentschaftskandidat eines Mitte-Links-Bündnisses gescheitert; später kämpfte er mit Rückendeckung der USA gegen kommunistische Guerilla-Einheiten. Weil er die Maya beschuldigte, die Guerilla-Verbände zu unterstützen, mussten Tausende Indigene ihr Leben lassen. Auch als Pastor und Prediger für eine evangelikale Sekte war Rios Montt aktiv. Seine Schreckensherrschaft wurde schließlich durch rivalisierende Militärs abgelöst.

Der Bürgerkrieg in Guatemala zählt zu den brutalsten Konflikten in der Geschichte Lateinamerikas. Er dauerte 36 Jahre und endete im Dezember 1996 mit dem Abschluss eines Friedensvertrags zwischen rechtsgerichteter Regierung und Rebellenvereinigung URNG. In dieser Zeit wurden Schätzungen zufolge mindestens 200.000 Menschen getötet, 83 Prozent davon Angehörige der indigenen Maya-Bevölkerung. Geschätzt 1,7 Millionen Menschen flohen vor Gewalt und Unterdrückung.

Von Tobias Käufer (KNA)

Guatemalas Bürgerkrieg

Der Bürgerkrieg in Guatemala zählt zu den brutalsten Konflikten in der Geschichte Lateinamerikas. Er dauerte 36 Jahre und endete am 29. Dezember 1996 mit dem Abschluss eines Friedensvertrags zwischen rechtsgerichteter Regierung und Rebellenvereinigung URNG. In dieser Zeit wurden Schätzungen zufolge mindestens 200.000 Menschen getötet, 83 Prozent davon Angehörige der indigenen Maya-Bevölkerung. Geschätzt 1,7 Millionen Menschen flohen vor Gewalt und Unterdrückung. Hintergrund des Konflikts waren Versuche einer Landreform in den 1950er Jahren, die nach 1954 durch das US-gestützte Regime unterdrückt wurden. Damit wurden die Interessen des US-amerikanischen Konzerns United Fruit Company gewahrt, der in Guatemala 162.000 Hektar Land zum Anbau von Chiquita-Bananen besaß. Spätestens ab 1975 richtete sich die Staatsmacht planvoll vor allem gegen die ländlichen Maya-Regionen, unter dem Vorwand, die Guerilla finde dort Unterstützung. Als die Zeit der „violencia“, der besonders ungehemmten Gewalt, gingen die Jahre 1978 bis 1985 in die Geschichte des mittelamerikanischen Landes ein. Allein in den 15 Monaten unter dem Diktator Efrain Rios Montt begingen Militärs 600 Massaker und zerstörten in einer „Politik der verbrannten Erde“ etwa 100 Dörfer. 17.000 Menschen wurden in diesem Zeitraum getötet, Hunderttausende flohen. Am 24. April 1998 legte die katholische Kirche einen offiziellen Untersuchungsbericht zur „Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses“ (REMHI) vor. Zwei Tage später wurde der wichtigste Protagonist der Studie, Weihbischof Juan Gerardi Conedera, von Angehörigen der Armee ermordet. Aus dem REMHI-Bericht geht hervor, dass mehr als 90 Prozent der Morde auf Armee, Paramilitärs und Zivilpatrouillen (PAC) zurückgehen. Für etwa 9 Prozent zeichnete demnach die Guerilla verantwortlich. Allein für die Hochland-Provinz Quiche führt der Bericht für die Zeit des Bürgerkriegs 31.400 Verhaftungen, 13.728 Tote, 2.157 „Verschwundene“, 3.207 Fälle von Folter und 4.039 Attentate auf. Auf Entschädigung warten die allermeisten Opfer bis heute. Quelle: KNA