Gesunde Entwicklungsziele?

Gesunde Entwicklungsziele?

Tagung der Orden ‐ Ende September verabschiedet die Staatengemeinschaft eine neue Nachhaltigkeits- und Entwicklungsagenda. Welche Aufgaben diese an die weltweite Gesundheitsarbeit der missionierenden Orden stellt, diskutieren ab heute Ordensleute auf einer Tagung in Nürnberg. Im Interview sprechen die Organisatoren über globale Gesundheit, die für die Orden Menschenrecht und Heilsauftrag zugleich ist.

Erstellt: 11.09.2015
Aktualisiert: 01.12.2022
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Es sind nur noch wenige Tage bis zur Verabschiedung der neuen nachhaltigen Entwicklungsziele beim UN-Gipfel Ende September in New York. Welchen Stellenwert das Thema „Gesundheit“ in der sogenannten Post-2015-Agenda einnehmen sollte, diskutieren ab heute Ordensleute auf einer Tagung in Nürnberg. Pater Klaus Väthröder, Missionsprokurator der Jesuitenmission, und Dr. Klemens Ochel vom Missionsärztlichen Institut haben die Veranstaltung mit organisiert. Im Gespräch mit dem Internetportal Weltkirche erklären Sie, was die neue globale Entwicklungsagenda für die Gesundheitsarbeit der Orden weltweit bedeutet.

Frage: Pater Väthröder, die Konferenz der Missionierenden Orden widmet sich auf ihrer Tagung in Nürnberg dem Thema „Globale Gesundheit“. Welche Rolle spielt dieses Thema für Missionarinnen und Missionare weltweit?

Väthröder: Nach einer Bestandsaufnahme des Päpstlichen Rats für die Gesundheitspastoral betreibt die katholische Kirche 25 Prozent aller Gesundheitseinrichtungen weltweit. Davon liegen viele in der Verantwortung missionierender und lokaler Ordensgemeinschaften. Sie versorgen an den Rand gedrängte oder von Krisen, Kriegen und Naturkatastrophen betroffene Gruppen, die häufig von staatlichen Diensten nicht erreicht werden.

In den letzten Jahren findet in diesem Bereich jedoch ein bedeutender Umbruch statt. Die missionierenden Orden aus den reicheren Industriestaaten wie Deutschland können ihr Engagement nicht mehr wie in der Vergangenheit aufrechterhalten. Ein Grund ist der demographische Wandel in den Orden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gesundheitseinrichtungen der Orden in den armen Ländern zu wenig Unterstützung von öffentlichen Hilfsfonds bekommen. Somit bangen viele Einrichtungen und Werke der missionierenden Orden um ihre Zukunft.

Frage: Herr Dr. Ochel, Ende 2015 laufen die Millenniumsentwicklungsziele aus. Die Senkung der Kinder- und Müttersterblichkeit und die Bekämpfung von schweren Krankheiten und Epidemien wie HIV/Aids und Malaria gehören auch zu diesem Zielkatalog. Was wurde hier erreicht? 

Bild: © Privat

Ochel: Insgesamt wurden in den Entwicklungsländern beeindruckende Fortschritte erzielt. Fest steht jedoch auch, dass gerade die am stärksten benachteiligten Regionen und Bevölkerungsgruppen an dieser Entwicklung nur unzureichend teilhaben konnten. Die Überlebenschancen zwischen reichen und armen Ländern sind auch jetzt noch extrem ungleich verteilt: Während in den Ländern mit hohen Einkommen weniger als 9 Prozent der Menschen vor der Vollendung ihres 50. Lebensjahrs starben, lag dieser Anteil in den Ländern mit niedrigen Einkommen bei über 66 Prozent und überstieg in vielen Ländern Afrikas sogar 70 Prozent. Zugleich leiden weltweit immer noch 90 Millionen Kinder unter fünf Jahren an Untergewicht. Sie haben Krankheiten wenig entgegenzusetzen und die Überlebenden werden gravierend in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung beeinträchtigt.

Frage: Das verheerende Ebola-Fieber in Westafrika hat gezeigt, dass die Staatengemeinschaft die Ausbreitung solcher Epidemien keinesfalls im Griff hat. Welche Erfahrungen haben die Ordensleute in Sierra Leone, Liberia und Guinea im Kampf gegen die Krankheit gemacht?

Ochel: Die Antwort der Ortskirchen, ihrer Partner im Norden und auch der missionierenden Orden auf die Ebola-Epidemie war zögerlich – selbst zu einem Zeitpunkt, an dem andere Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ bereits davor warnten, dass die Situation in den betroffenen Krisenländern Guinea, Sierra Leone und Liberia außer Kontrolle gerät. Es musste erst zu einer Übertragung von Ebola und Todesfällen in kirchlichen Gesundheitseinrichtungen kommen, bis eine international koordinierte, angemessene Antwort gegeben wurde.

In Liberia wurde die Franziskanerin Barbara Brillant zur nationalen Koordinatorin ernannt. Sie bat Ordensgemeinschaften in den USA um Infektionsschutzmaterialien und Medikamente. Gleichzeitig beantragte sie bei Misereor, den Catholic Relief Services und Caritas Internationalis Unterstützung.

Heute bedauern es die Organisationen der Vereinten Nationen, nicht frühzeitiger mit den Kirchen und Ordensgemeinschaften zusammen gearbeitet zu haben. Die komplexen Kontrollmaßnahmen bei Ebola, wie die besonderen Vorkehrungen von Bestattung, können nur dann erfolgreich durchgeführt werden, wenn sie von Vertrauenspersonen vermittelt und religiöse Empfindungen nicht verletzt werden. Somit hat die Ortskirche einen wesentlichen Beitrag zu Eindämmung der Epidemie geleistet.

Frage: In diesem September beschließen die Vereinten Nationen eine neue globale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda. Welchen Stellenwert sollte das Thema Gesundheit darin einnehmen?

Ochel: Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen  haben sich Anfang August auf die sogenannte Agenda für nachhaltige Entwicklung geeinigt. Diese soll beim UN-Gipfel vom 25. bis 27. September in New York verabschiedet werden.  Unter den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen ist Ziel drei direkt dem Thema Gesundheit gewidmet. Es soll allen Menschen unabhängig vom Alter ein gesundes Leben sichern und das Wohlergehen fördern. Die einzelnen Zielvorgaben – darunter die Senkung der Müttersterblichkeit, das Ende der vermeidbaren Todesfälle unter Kleinkindern und die Beendigung der Epidemien von Aids, Tuberkulose, Malaria und vernachlässigten Tropenkrankheiten – entsprechen weitgehend den von der Zivilgesellschaft und den Kirchen mitgetragenen Initiativen. 

Bild: © KNA

Leider fehlt es in der Agenda an konkreten und angemessenen Vereinbarungen zur Finanzierung. Das Dokument vermeidet es, bereits existierende Zielvorgaben zu erwähnen, z. B. die Empfehlung für die Industriestaaten, mindestens 0,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich bereitzustellen oder den Beschluss der Afrikanischen Union, nicht weniger als 15 Prozent der nationalen Haushalte für die Gesundheitsversorgung aufzubringen.

Frage: P. Väthröder, welche Aufgaben kommen hier zukünftig auf die Ordensgemeinschaften und kirchlichen Entwicklungsorganisationen zu?

Väthröder: Der Heilsauftrag, den missionierende Ordensgemeinschaften für die Kirche wahrgenommen haben, muss in Zukunft stärker in die Verantwortung anderer kirchlicher Strukturen übergehen. Dazu muss die Bedeutung von Gesundheit bei den Werken und kirchlichen Verbänden in Deutschland gestärkt werden. Gleiches gilt für die Gesundheitsarbeit in  den Missionsländern. Deutsche Missionarinnen und Missionare müssen gemeinsam mit den Orden in den Ländern ihrer Mission darauf hinwirken, dass diese Arbeit in den Ortskirchen einen angemessenen Stellenwert bekommt.

Das Interview führte Lena Kretschmann.

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