
Welche Strukturen braucht eine missionarische Weltkirche?
Kirche ‐ In seinem Schreiben „Evangelii Gaudium“ spricht sich Papst Franziskus für einen Weg der „heilsamen Dezentralisierung“ aus. Was ein solcher Weg für eine missionarische Weltkirche bedeutet, diskutierten Experten auf einem Studientag des Instituts für Weltkirche und Mission in Frankfurt.
Aktualisiert: 13.11.2015
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Mit dem Thema „Heilsame Dezentralisierung - Welche lokalen Strukturen braucht eine missionarische Weltkirche?“ des diesjährigen Studientags am 5. November griff das Institut für Weltkirche und Mission an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt die Einladung des Papstes auf, über eine „heilsame Dezentralisierung“ der Kirche im Dienste der Evangelisierung nachzudenken.
Gerard Mannion, Experte für Ekklesiologie und Professor für Katholische Studien an der Georgetown University in Washington D.C., unterstrich in seinem Vortrag die ekklesiologische Wende, die Franziskus seit Beginn seiner Amtszeit in Gang gesetzt habe. Zentral für die angestoßenen Veränderungen sei das Verständnis des kirchlichen Lehramts, nicht allein in Bezug auf die Inhalte der Lehre, sondern zugleich mit Blick auf das Subjekt. Die Lehre der Kirche sei Aufgabe des gesamten Gottesvolkes und bei den Inhalten gelte es zu differenzieren nach deren Zentralität und Gewicht. Entscheidendes Kriterium sei die pastorale Mission („the pastoral mission“), die vom Tenor der Barmherzigkeit getragen sein müsse.
Der Beitrag von Gerard Mannion wurde durch zwei als Video aufgezeichnete Interviews ergänzt, die als Einstieg in die anschließenden Diskussionsgruppen fungierten. Dabei handelte es sich um je ein Gespräch mit Schwester Dr. Birgit Weiler MMS, einer theologischen Beraterin der lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM), die seit 1988 in Peru arbeitet und lebt, sowie mit Abbé Dr. Léonard Santedi, dem Generalsekretär der kongolesischen Bischofskonferenz. Beide begrüßten mit Blick auf den jeweiligen Kontext Franziskus Anliegen der Dezentralisierung. Es gehöre zur Rolle Petri, den Ortskirchen das Wort zu erteilen („circulation de la parole“) und diese zu einem diachronischen Dialog mit den Ursprüngen der Kirche sowie zu einem synchronischen Dialog mit den anderen Ortskirchen zu ermutigen, so Santedi. Weiler hob dabei die Notwendigkeit des Vertrauens auf die Gegenwart und das Wirken des Heiligen Geistes in allen Getauften hervor, ohne das eine Dezentralisierung undenkbar sei.
Kardinal Marx: Hinschauen lautet die Devise
Am Nachmittag fokussierte Reinhard Kardinal Marx in seinem einstündigen Vortrag den Aspekt der Evangelisierung, die er als Ermöglichung der Begegnung mit der Person Jesu Christi ins Wort brachte. Die erste Schwierigkeit liege jedoch bereits darin, sich darauf zu einigen, was Evangelisierung in den unterschiedlichen Kontexten konkret bedeute. Dies sei auch auf der Familiensynode deutlich geworden. Gerade deshalb sei es so wichtig, dass man sich die notwendige Zeit nehme für die angestoßenen Prozesse. „Hinschauen, hinschauen, hinschauen“ laute die Devise. In diesem Punkt würden sich auch zahlreiche Aufgaben für das Institut für Weltkirche und Mission ergeben, so der Kardinal. Auf der Seite der Kirchenleitung sei Transparenz ein wichtiges Stichwort für unsere Zeit. Das Thema der Dezentralisierung erörterte Marx in der Semantik der Subsidiarität, die sich um der Konkretheit willen auch im Kirchenrecht entsprechend niederschlagen müsse – doch hier seien dann die Experten gefragt.
In der Abschlussdiskussion unterstrich Reinhard Kardinal Marx noch einmal, dass Synodalität nicht mit Demokratie zu verwechseln sei. Evangelisierung sei der Kirche aufgetragen und stehe somit nicht zur Debatte. Bei der Umsetzung dieses Auftrags könne man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Anzustreben sei aber nicht eine Mehrheitsentscheidung, sondern Einmütigkeit. Auf erneute Rückfragen bezüglich des Verhältnisses von Dezentralisierung und Subsidiarität antwortete Marx, dass er den Begriff der Dezentralisierung für problematisch halte, weil er leicht als Delegierung missverstanden werden könne – doch eben darum gehe es nicht. Möglicherweise eigne sich für die Beschreibung der Kirche die Begrifflichkeit des Netzwerks, wobei dies genauer zu untersuchen wäre. Der Petrusdienst jedenfalls werde in Zukunft eher wichtiger als weniger wichtig.
Von Tobias Keßler CS, Institut für Weltkirche und Mission
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