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Kardinal Arns ist tot – Verehrter Kämpfer für Menschenrechte

Brasilien ‐ Eine Ikone der katholischen Kirche Brasiliens ist tot. Paulo Evaristo Arns, prominenter Befreiungstheologe und Menschenrechtler, drittältester Kardinal der Weltkirche und emeritierter Erzbischof von Sao Paulo, ist am Mittwoch im Alter von 95 Jahren gestorben. Die Trauer um den berühmten Streiter für die Menschenrechte ist groß.

Erstellt: 15.12.2016
Aktualisiert: 15.12.2016
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Eine Ikone der katholischen Kirche Brasiliens ist tot. Paulo Evaristo Arns, prominenter Befreiungstheologe und Menschenrechtler, drittältester Kardinal der Weltkirche und emeritierter Erzbischof von Sao Paulo, starb am Mittwoch im Alter von 95 Jahren in einem Krankenhaus der Millionenstadt, an multiplem Organversagen. Natürlich, der Tod ist in diesem Alter eine Frage der Zeit - und doch ist es ein Verlust für das ganze Riesenland.

Während der Militärdiktatur in Brasilien (1964–1985) protestierte der deutschstämmige Franziskaner gegen die Verbrechen des Regimes. Arns zählte wohl zu den bestinformierten Menschen im Land. Er wusste, wo gefoltert und gemordet wurde; er versteckte Verfolgte – und stellte Militärs mutig zur Rede. Ein Redeverbot war die Folge.

Aufklärer und Kämpfer für die Menschenrechte

Schon in den frühen 80er Jahren startete und leitete der furchtlose Bischof das Projekt „Brasil: Nunca Mais“ (Nie wieder) über die Verbrechen der Diktatur. Es sammelte heimlich Dokumente, und 1985, kurz nach dem Ende der Diktatur, wurden die Ergebnisse in Buchform veröffentlicht. Sie gelten bis heute als die ausführlichste Aufarbeitung der damals begangenen Verbrechen durch Brasiliens Staatsapparat.

Seit dem Übergang zur Demokratie mobilisierte Arns Kirche und Sozialbewegungen gegen Ungerechtigkeit, Folter und unmenschliche Arbeitsbedingungen. Bei Demonstrationen für die Menschenrechte stand er häufig in der ersten Reihe. 1992 war Arns in der Dominikanischen Republik in einen Unfall mit bis heute nicht eindeutig geklärter Ursache verwickelt. Er selbst sagte stets, dass er den Unfall als Attentatsversuch ansehe. Schließlich mussten nicht wenige Bischöfe im Lateinamerika jener Jahre ihren Einsatz für die Menschenrechte mit dem Leben bezahlen: Oscar Romero in Nicaragua, Juan Gerardi in Guatemala, Enrique Angelelli in Argentinien.

Am 14. September 1921 im südbrasilianischen Forquilhinha geboren, trat der Sohn deutscher Eltern bereits mit 18 Jahren in den Franziskanerorden ein. Später studierte er an der Pariser Sorbonne. 1970 machte ihn Papst Paul VI. mit nur 49 Jahren zum Erzbischof von Sao Paulo und erhob ihn 1973 in den Kardinalsstand. Außer Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. war Arns der letzte verbliebene Kardinal, der noch vom Konzilspapst Paul VI. ernannt wurde.

1985 rief Arns gemeinsam mit seiner Schwester, der Kinderärztin Zilda Arns Neumann, die äußerst populäre Kinderpastoral der katholischen Kirche ins Leben. Zildas tragischer Tod während des Erdbebens auf Haiti 2010 nahm der brasilianischen Nation quasi ihre Mutter.

Streitbarer Kardinal und Befreiungstheologe

Auch Konflikten mit Rom ging der streitbare Kardinal nicht aus dem Weg. So forderte er schon früh, mit Blick auf den wachsenden Priestermangel den Pflichtzölibat für katholische Priester neu zu hinterfragen. Es handele sich um ein historisch bedingtes Kirchengesetz ohne biblische Verankerung.

1998 nahm Papst Johannes Paul II. den Amtsverzicht von Kardinal Arns als Erzbischof aus Altersgründen an – mit vergleichsweise jungen 76 Jahren. Johannes Paul II. schätzte seinen Mut und sein soziales Engagement, weniger jedoch seine Nähe zur Befreiungstheologie, hinter der der Papst aus Polen stets den Sozialismus witterte.

Von einem „Ruhestand“ konnte freilich keine Rede sein. Arns schrieb weiter Bücher, erreichte über das Radio viele Menschen mit seinen Botschaften. Der höfliche ältere Herr, der er war, zeigte den Mächtigen doch stets die Zähne, wies Korruption, Vetternwirtschaft und Verschwendung nach.

Arns erhielt ungezählte weltliche Auszeichnungen durch Vereinte Nationen, Regierungen und Menschenrechtsorganisationen. Rund zwei Dutzend Universitäten in der ganzen Welt verliehen ihm Ehrendoktorwürden. Seine letzten Lebensjahre verbrachte der Kardinal zurückgezogen in einer franziskanischen Ordensgemeinschaft in Taboao da Serra im Großraum Sao Paulo. Er widmete sich dort unter anderem der Lektüre und Übersetzung religiöser Texte. Sein Land, Brasilien, ist ärmer ohne ihn – ärmer, als es derzeit ohnehin schon ist.

Von Alexander Brüggemann (KNA)

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Reaktionen auf den Tod von Kardinal Arns

Nach dem Tod von Kardinal Paulo Evaristo Arns ist die Trauer in Brasilien und weltweit groß: Brasiliens Präsident Michel Temer betonte: „Dom Paulo war ein Verteidiger der Freiheit und hatte stets die Errichtung einer gerechten und gleichen Gesellschaft als Handlungsmaxime.“ Brasilien verliere „einen Verteidiger der Demokratie, aber wird sich auf ewig an seine Lehren erinnern“. Der Theologe Leonardo Boff bezeichnete Kardinal Arns als seinen „unvergesslichen Lehrmeister“. Boff sagte zum Tod von Arns, der einst Erzbischof von Sao Paulo war: „Er ist aufgebrochen, um sich mit dem Herrn zu treffen, dem er stets durch sein Wirken für die Armen und Gefolterten gedient hat.“ Der amtierende Erzbischof von Sao Paulo, Kardinal Odilo Scherer, würdigte das „Beispiel franziskanischen Lebens von Dom Paulo“ und dankte ihm für sein mutiges Eintreten für die Verteidigung der menschlichen Würde und der unveräußerlichen Rechte eines jeden Menschen. Seine besondere Widmung habe den „Kleinen, Armen und Besorgten“ gegolten. Arns hinterlasse „ein Erbe der Hoffnung“. Die katholische Universität Sao Paulo (PUC-SP) schrieb: „Die Hoffnung hat ihr größtes Lächeln verloren: Dom Paulo Evaristo Arns ist tot.“ Der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Prälat Bernd Klaschka, sagte in Essen: „Dom Paulo Evaristo Arns hat die Option für die Verfolgten der brasilianischen Militärdiktatur unbeirrt gelebt.“ Scheinbar ohne Angst habe er immer wieder die Verbrechen der Militärdiktatur angeprangert. Die Totenwache für Kardinal Arns findet in der Kathedrale im Zentrum von Sao Paulo statt und soll 48 Stunden dauern. Danach wird er voraussichtlich in der dortigen Krypta bestattet. Arns lebte seit einigen Jahren zurückgezogen in einer franziskanischen Ordensgemeinschaft in Taboao da Serra im Großraum Sao Paulo. Zuletzt verzichtete er weitestgehend auf öffentliche Auftritte und widmete sich Medienberichten zufolge der Lektüre und Übersetzung religiöser Texte. (KNA)