Bloß weg aus Westafrika
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Bloß weg aus Westafrika

Flucht und Asyl ‐ Viel Geld und zahlreiche Projekte sollen Westafrikaner von der Abwanderung nach Europa abhalten. Doch an der Perspektivlosigkeit ändert sich wenig. Die Zahl der Migranten bleibt hoch.

Erstellt: 07.09.2017
Aktualisiert: 07.09.2017
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Viel Geld und zahlreiche Projekte sollen Westafrikaner von der Abwanderung nach Europa abhalten. Doch an der Perspektivlosigkeit ändert sich wenig. Die Zahl der Migranten bleibt hoch.

Europa macht seit Anfang des Jahres ernst. In den Hauptstädten und Wirtschaftsmetropolen Westafrikas kommen immer wieder Flugzeuge mit abgeschobenen Migranten an. Häufig landen sie in den frühen Morgenstunden. In Empfang genommen werden die Abgeschobenen – wenn überhaupt – höchstens von privaten Organisationen, die ihnen in der Anfangsphase Unterstützung anbieten.

Mit der Vorgehensweise will die EU den Druck auf die Regierungen in der Region erhöhen, was diese jedoch in aller Regel kalt lässt. Die meisten Politiker äußern sich nicht mal dazu. Im Dezember 2016 ließ Nigerias Staatspräsident Muhammadu Buhari immerhin mitteilen, es sei „schmerzhaft mitanzusehen, wie junge Menschen verzweifelt versuchen, die Sahara zu durchqueren“.

Laut dem italienischen Innenministerium sind allein 2016 rund 36.000 nigerianische Migranten ohne Papiere in Italien angekommen. Dennoch entsteht in Afrikas einwohnerreichstem Staat wie in vielen Nachbarländern auch keine öffentliche Diskussion darüber. In Ländern wie Gambia oder dem Senegal sprechen vor allem junge Männer offen über Möglichkeiten und Chancen, nach Nordafrika oder Europa zu gehen.

Der Druck, die Familie von Europa aus zu versorgen, ist enorm. Denn daheim sind die Perspektiven schlecht. Im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen sind unter den 20 am wenigsten entwickelten Ländern neun westafrikanische. Gleichzeitig befinden sich unter den 20 Ländern mit der höchsten Geburtenrate laut dem World Factbook ebenfalls sieben in der Region.

Überall klagen junge Menschen über fehlende Jobs. Viele kommen zwar im informellen Sektor unter und arbeiten etwa als Tagelöhner. Das reicht aber nicht aus, um sich eine Zukunft aufzubauen. Wenn der häufig nicht mal gezahlte Mindestlohn weniger als 100 Euro beträgt, ist die Verlockung groß, Geld zu sparen und zusammenzulegen, um jemanden aus der Familie nach Europa zu schicken.

Für viele Länder ist das ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Laut dem Magazin „Jeune Afrique“ überwiesen Nigerianer aus der Diaspora 2016 rund 19 Milliarden US-Dollar zurück in die Heimat. In Liberia machten 2015 die Auslandsüberweisungen 31 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Allerdings wirkte sich in dieser Zeit auch noch die schwere Ebola-Krise aus.

Über die Perspektivlosigkeit in der Region sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz im Juni: „Wenn es in Afrika zu viel Hoffnungslosigkeit gibt, dann sagen junge Menschen auch: Wir müssen uns woanders auf der Welt ein neues Leben suchen.“ Eine Reihe von Maßnahmen soll das ändern. Als Prestigeprogramm der Bundesregierung gilt „Compact with Africa“, wodurch im großen Stil Privatinvestitionen auf den Kontinent fließen sollen. Westafrikanische Partnerländer sind die Elfenbeinküste und der Senegal, laut Transparency International (TI) auf Rang 108 bzw. 64 von 176 im Korruptionsindex. Korruption ist neben schlechter Infrastruktur einer der Gründe für Unternehmer, die Region zu meiden.

Zudem gibt es eine Vielzahl EU-Programme, die Afrikaner von der Reise nach Europa abhalten sollen. Ende Juli kündigte die EU die Bereitstellung von 46 Millionen Euro zur Verstärkung des libyschen Grenzschutzes an. Mit weiteren 90 Millionen Euro sollen „Migrationsströme gesteuert“ werden. Finanziert werden Gesundheitsversorgung, Wirtschafts- und Bildungsprogramme.

Man verspricht Unterstützung für Kleinunternehmer, Frauen und junge Menschen. All das gibt es aber schon seit Jahrzehnten im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit. Laut dem zuständigen Bundesministerium wurden etwa allein Mali 2013 und 2014 rund 130 Millionen Euro zugesagt. Bis zur Krise 2012 galt das Land ohnehin als Geberliebling und belegte 2011 trotzdem nur Rang 175 auf dem Weltindex der menschlichen Entwicklung – woran sich nichts geändert hat.

Einstweilen reißt die Zahl der Migranten nicht ab. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR überquerten in den ersten sieben Monaten 5.562 Malier das Mittelmeer. Spitzenreiter aus Westafrika bleibt aber Nigeria mit 16.319 Personen.