Woche des indigenen Protests in Brasilien
Indigene Völker ‐ In der am Montag gestarteten „Woche des indigenen Protests“ kommen Vertreter der ursprünglichen Völker Brasiliens in der Hauptstadt Brasília zusammen. Erzbischof Roque Paloschi von Porto Velho, Präsident des Indigenen-Missionsrats Cimi, im Interview.
Aktualisiert: 25.04.2018
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In der am Montag gestarteten „Woche des indigenen Protests“ kommen Vertreter der ursprünglichen Völker Brasiliens in der Hauptstadt Brasília zusammen. Mitten im Regierungsviertel schlagen sie ihr Camp „Terra Livre“ auf, diskutieren die aktuelle Lage und überbringen Präsident Michel Temer ihre Forderungen. Seine Regierung sei eine Allianz mit dem Agro-Business eingegangen, die den indigenen Völkern jegliche Rechte abspreche, kritisiert der Adveniat-Projektpartner Erzbischof Roque Paloschi von Porto Velho, der die Interessen der Indigenen als Präsident des Indigenen-Missionsrats Cimi vertritt.
Frage: Seit zwei Jahren ist Michel Temer nun Präsident Brasiliens. Wie fällt Ihr Urteil aus?
Paloschi: Unter der Regierung Temer ist das Budget der staatlichen Indigenen-Behörde Funai derart gekürzt worden, dass sie praktisch gelähmt ist. Ihrem Auftrag, die Rechte der ursprünglichen Völker zu vertreten, kann sie so kaum noch nachkommen. Im Jahr 2016 hatte die Funai noch einen Etat von knapp 503 Millionen Reais. Das entsprach gerade einmal 0,018 Prozent des gesamten Haushalts. Im Jahr 2017 wurde das auf 85 Millionen Reais zusammengestrichen.
Frage: Was bedeutet das für die tägliche Arbeit?
Paloschi: In der Praxis würgen die Kürzungen die Funai ab. Das führt zu Rückschritten in der Politik für die indigenen Völker. Hinzu kommt, dass wichtige Posten mit Vertretern der Agrarlobby besetzt werden – also erklärten Gegnern der indigenen Völker. Im Kongress versuchen diese Politiker, die in der Verfassung verankerten Rechte der ursprünglichen Völker rückgängig zu machen. Allen voran das Recht der Indigenen auf ihr Land sowie die Garantie, dass nur sie dieses Land zu ihren Gunsten verwalten und wirtschaftlich nutzen dürfen. Die Regierung Temer ist mit den Agrar-Vertretern eine Allianz eingegangen, die diesen Völkern jegliche Rechte absprechen wollen, besonders das Recht auf ihr eigenes Land.
Frage: Der Indigenen Missionsrat Cimi veröffentlicht mit Unterstützung des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat jedes Jahr einen Gewaltbericht.
Paloschi: Wir haben Fälle aufgedeckt, in denen Gewalt in bereits eingerichteten Indigenengebieten stattfindet. Zum Beispiel nahe meines Wohnortes Porto Velho, in Rondônia: Dort wird das Land der Karipuna von Eindringlingen besetzt und weiterverkauft. Die Anführer, die das den Behörden berichten, werden bedroht.
Frage: Zuletzt gab es widersprüchliche Signale des Obersten Gerichts, was die Anwendung des „marco temporal“ angeht. Also die Frage, ob Indigene auch auf Land Anspruch haben, das sie zum Zeitpunkt der Verkündigung der Verfassung 1988 nicht bewohnten.
Paloschi: Es gab Urteile, die auf eine Veränderung hinweisen. Einige der Obersten Richter haben erklärt, dass sie den „marco temporal“ nicht anwenden wollen. Das wäre eine Tendenz zum Guten. Wir bleiben an diesem Thema dran. Denn in dieser entscheidenden Situation müssen wir ganz nah bei den indigenen Völkern sein.
Frage: Sie waren bei der Vorbereitung für die im Herbst 2019 geplante Amazonas-Synode in Rom. Gibt es bereits konkrete Ergebnisse des kirchlichen panamazonischen Netzwerks Repam, Red Eclesial PanAmazónica?
Paloschi: Der Auftrag des Netzwerks Repam ist es, den Kampf der indigenen Völker zu artikulieren und die Aktionen der Kirche und der indigenen Organisationen länderübergreifend zu bündeln. Auf vielen Treffen wird diskutiert, wie die Umwelt- und Sozial-Enzyklika „Laudato sí“ umgesetzt werden kann. Es bewegt sich etwas in der Kirche – und bei den Indigenen. Die Synode kann diesem Prozess eine Krone aufsetzen.
Frage: Wie haben sich Sozialprogramme wie „Bolsa Família“ auf das Leben der Indigenen ausgewirkt? Wird ihr ursprünglicher Lebensstil dadurch beeinträchtigt?
Paloschi: Viele indigene Gemeinschaften leben mehr oder weniger in die brasilianische Gesellschaft integriert: Sie arbeiten, erhalten Lohn, verkaufen oft selbsthergestellte Produkte und kaufen Güter. Kurzum: Geld ist also eine Realität im Leben vieler Völker. „Bolsa Família“, das einige beziehen, ist eines ihrer Grundrechte, genau wie für alle anderen Brasilianer. An sich ist das nichts Negatives. Und in vielen indigenen Gemeinschaften teilt man sich diese Einkünfte.
Frage: Hoffen Sie bei den Wahlen im Oktober auf einen Kongress, der den Indigenen gegenüber freundlicher gestimmt ist?
Paloschi: Aktuell haben wir den konservativsten Kongress überhaupt. Natürlich hoffen wir, dass sich die Lage bessert. Es gibt gute Leute, die sich für Gerechtigkeit einsetzen – auch wenn es wenige sind. Es wird aber einige indigene Kandidaten geben, Leute, die sich für ihr Volk einsetzen. Da es bislang in Brasilien keine wirkliche politische Reform gegeben hat, sehe ich allerdings in Bezug auf grundlegende Veränderungen eher schwarz.
Frage: Aber Sie gelten generell als Optimist was die Zukunft der indigenen Völker Brasiliens angeht?
Paloschi: Die Indigenen selbst geben den Weg vor. Als Kirche stellen wir uns in ihren Dienst, versuchen, ihnen Räume zu eröffnen, wo sie gehört werden können. Seitdem wir im Jahre 1974 mit unserer Arbeit zugunsten der Indigenen angefangen haben, konnten sich die Völker mehr oder weniger halten. Sie kämpfen weiter für ihre Rechte auf Land, auf Bildung und Gesundheit. Derzeit sind es 305 Völker, dazu kommen wohl noch rund 100 isoliert lebende Völker ohne Kontakt. Seit so vielen Jahren leisten sie Widerstand. Das stärkt bei uns die Hoffnung und den Optimismus.
Das Interview führte Thomas Milz.
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