Misereor fordert klares Bekenntnis zu Fairem Handel
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Misereor fordert klares Bekenntnis zu Fairem Handel

Fairer Handel ‐ An diesem Freitag startet die Faire Woche. Misereor-Geschäftsführer Thomas Antkowiak über die Entwicklung der Branche des Fairen Handels, eine Steuerbefreiung für Fairtrade-Kaffee und die Rolle der Kirche bei der ökofairen Beschaffung aus öffentlicher Hand.

Erstellt: 14.09.2018
Aktualisiert: 14.09.2018
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Misereor-Geschäftsführer Thomas Antkowiak über die Entwicklung der Branche des Fairen Handels, Vorhaben wie die von Entwicklungsminister Gerd Müller vorgeschlagene Steuerbefreiung für Fairtrade-Kaffee und die Rolle der Kirche bei der ökofairen Beschaffung aus öffentlicher Hand.

Frage: Die Zuwächse beim Fairen Handel sind groß, machen aber immer noch einen eher geringen Anteil am Gesamthandel aus. Gibt es Gründe?

Thomas Antkowiak: Im Jahr 2017 stieg der Pro-Kopf Verbrauch für Faire Produkte auf 18 Euro, verglichen mit Nachbarländern wie den Niederlanden oder der Schweiz ist das noch recht dürftig. Oft wird als Begründung der vermeintliche „Geiz“ deutscher Konsumentinnen und Konsumenten angeführt, die nicht bereit seien, für fair gehandelte Produkte höhere Preise zu zahlen. Ich bin davon überzeugt, dass auch viel am mangelnden Willen des Handels und der Lebensmittelhersteller in Deutschland liegt. In diesen Ländern sind die Bedingungen für die Beschaffung von Rohstoffen für Produkte oder die Verarbeitung ganz ähnlich wie bei uns. Deshalb greift es zu kurz, die Verbraucherinnen und Verbraucher allein in die Verantwortung zu nehmen. Da könnte auch eine Vereinfachung der unübersichtlichen Siegellandschaft helfen.

Frage: Kommen wir zu den Misereor-Partnerländern: Wie sieht derzeit die Situation für Produzentinnen und Produzenten in Produktionsländern aus?

Antkowiak: Wir begleiten zum Beispiel seit 1996 „PREDA“, eine Organisation auf den Philippinen. Durch Förderung Misereors bekommen Familien aus indigenen Aeta-Gemeinden im Hinterland der Insel Luzon die Möglichkeit, mit Bio-Anbau und Fairem Handel ihr Einkommen zu verbessern. Die letztjährige Mango-Ernte dort war jedoch miserabel. Daran sehen wir, dass die Kleinbauernfamilien – wie viele Menschen aus anderen Erzeugergruppen – stark von Wetterschwankungen betroffen sind. Von unserem langjährigen Partner „FEDECOCAGUA“ aus Guatemala hören wir, dass man sich dort große Sorgen um die Zukunft des Fairen Handels macht, weil sich andere Akteure auf dem Markt zusammenschließen und extreme Marktmacht besitzen. Große Konzerne lassen anbauen, zertifizieren, sie rösten, sie handeln und verkaufen. Das ist doch wohl kaum noch als Marktwirtschaft zu bezeichnen? Der Handel mit Lizenzen und Preisspekulationen nimmt keine Rücksicht auf das Wohl und die Chancen der Menschen, die den Kaffee anbauen. In diesem Umfeld hat es der Faire Handel  natürlich nicht immer leicht.

Frage: Unterstützt Misereor den Vorstoß von Entwicklungsminister Müller, die Mehrwertsteuer für fairen Kaffee zu verringern um damit die Preisschere zu  verringern? Würden Kaffeebauern in Peru oder Guatemala von dieser Initiative tatsächlich profitieren?

Antkowiak: Entscheidend ist doch die Frage: Wie viel Geld kommt beim Kaffeebauern an? Bei unserem Misereor-GEPA-Kaffee „Orgánico“ gehen gut 26 Prozent des Endkundenpreises an den Kaffee-Handelspartner. Im Marktdurchschnitt sind es laut Kaffeebarometer 2018 nur 10 Prozent. Im Durchschnitt wohlgemerkt! Da darf man sich nicht wundern, wenn junge Menschen in den Anbauregionen in diesem Sektor nicht mehr arbeiten wollen. Die Initiative von Minister Müller zielt auf Strukturen und Regeln des Marktes ab. Über die Mehrwertsteuer zu gehen, halten wir nicht für das richtige Instrument. Deren Verringerung hätte zur Voraussetzung, dass über das Steuerrecht definiert werden muss, was Fairer Handel ist. Wir befürchten, dass der Faire Handel damit verwässert wird und nur der kleinste gemeinsame Nenner herauskommen würde. Das wird dem Anliegen des Fairen Handels aus unserer Sicht nicht gerecht. Eine derartige Privilegierung des Fairen Handels führt doch eher zu dem Denken, dass er nur durch Übervorteilung erfolgreich sein kann.

Frage: Laut der Verbraucherbefragung 2018 vom Forum Fairer Handel ist nach wie vor eine der stärksten Motivationen beim Kauf von fairen Produkten, Kinderarbeit zu verhindern. In welchen Produkten steckt die meiste Kinderarbeit und wie engagiert sich Misereor bei dem Thema?

Antkowiak: Partnerorganisationen in Indien bekämpfen Kinderarbeit in der Textilindustrie anders als unsere Partner in der Elfenbeinküste, die Kakaobauernfamilien beraten. Entscheidend ist nach allen Erkenntnissen ein regelmäßiges, verlässliches Einkommen der Eltern. Nur dann werden sie ihre Kinder in die Schule schicken. Der Faire Handel mit Mindestpreisen, Vorfinanzierung und langfristigen Verträgen ist eine richtige Antwort auf die Gegebenheiten eines ungerechten Marktes. Gesetzliche Verbote von Kinderarbeit, die Entwicklung von Kinderrechten und das Einstehen dafür, Sensibilisierung und eine gute soziale Infrastruktur sind ebenso unverzichtbar. Leider hat sich gerade die Lage von Kindern, die in der Landwirtschaft in Sub-Sahara Afrika arbeiten, entgegen des weltweiten Trends in den letzten Jahren verschlechtert. In der Elfenbeinküste werden über eine Million Kinder im Kakaosektor ausgebeutet. Da müssen wir alarmiert sein, landet doch ein beträchtlicher Anteil dieses Kakaos in deutscher Schokolade!  Mit unserem Partner INADES arbeiten wir an der Verbesserung der Lage von Kleinbauernfamilien in der Elfenbeinküste und hoffen, dass diese Initiative schon bald auf die gesamte Region ausstrahlen wird.

Frage: Faire Beschaffung der öffentlichen Hand ist in vielen Städten, Kommunen und Bundesländern mittlerweile ein großes Thema – mit Erfolgen und Rückschlägen. Wie weit ist diesbezüglich die Kirche?

Antkowiak: An diesem Thema arbeiten wir schon länger. Gemeinsam mit anderen Werken und Verbänden haben wir einen Beschluss des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zur öffentlichen und kirchlichen Beschaffung nach sozialen und ökologischen Kriterien erwirkt. Erfreulich war auch zu hören, dass ein großer Caritas-Stadtverband in all seinen Einrichtungen GEPA-Kaffee ausschenkt. Trotzdem ist noch viel Luft nach oben. Solche Beispiele können aber dazu beitragen, dass andere beginnen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und dem Beispiel zu folgen, hier bleibt auch Misereor „am Ball“.

Frage: Gerd Müller sieht in Nachhaltigkeit den „neuen Megatrend“ und will nachhaltige Produkte in den kommenden Jahren zum Standard machen. Ist das realistisch?

Antkowiak: Ein Beispiel: Im Kakaoforum des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wird zertifizierter Kakao mit nachhaltigem Kakao gleichgesetzt.  Wenn aber die Bodenfruchtbarkeit zurückgeht und ganze Regionen im westlichen Afrika entwaldet werden, um einen angeblich nachhaltigen Kakao für unseren Konsum in Deutschland zu erzeugen, müssen wir uns fragen, ob wir hier wirklich über das Gleiche sprechen? Wir wünschen uns  von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis zur sozialen und ökologischen Ordnung von Märkten!

Frage: Wann fangen wir an, über den Wert eines Produktes für Mensch und Umwelt zu sprechen, wenn viele doch schon um die eklatanten Menschenrechtsverletzungen im globalen Handel wissen?

Antkowiak: Der Weg vom Wissen zur Einstellung und schließlich zur Änderung des Einkaufsverhaltens ist weit. Greenpeace hat ermitteln lassen, dass über 90 Prozent der jungen Leute über die Ungerechtigkeiten in der Modeindustrie Bescheid wissen, aber  nur wenige sich von diesem Wissen bei ihrem Einkauf leiten lassen. Der Faire Handel setzt bei der Bewusstseinsbildung und bei Kaufoptionen an. Er schildert nicht nur Probleme, sondern bietet auch Lösungen an. Wir wollen, dass es gelingt, die Strukturen unfairen Handels mehr und mehr zu verändern. Unsere Erfahrungen ermutigen uns, weiter  zu machen.

Das Interview führte Rebecca Struck, Misereor-Pressestelle.

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