Bandenkriege in Kapstadts Township mit deutschen Wurzeln
Menschenrechte ‐ An „Germany“ denkt kaum einer, der die New Eisleben Road in Philippi entlangfährt. Das Kapstädter Township hat eine der höchsten Mordraten in Südafrika. Auf die deutschen Siedler folgten Armut, Drogen und Bandengewalt.
Aktualisiert: 25.07.2019
Lesedauer:
An „Germany“ denkt kaum einer, der die New Eisleben Road in Philippi entlangfährt. Das Kapstädter Township hat eine der höchsten Mordraten in Südafrika. Auf die deutschen Siedler folgten Armut, Drogen und Bandengewalt.
Aus dem Weltall betrachtet zeigt Kapstadt zwei grüne Flecken. Der eine ist der Nationalpark rund um den Tafelberg. Der andere ist Philippi. Dieser berüchtigte Vorort im Süden der Kap-Metropole hängt in seiner Geschichte fest, irgendwo zwischen produktivem Farmland und Slum. Wo sich einst Bauern aus Deutschland ein neues Leben aufbauten, fliegen heute Tränengas und Gewehrkugeln. Zuletzt gab es wieder Gewalt in Philippi, als sich gleich zwei soziale Gewitter über dem Township entluden: Südafrikas ungelöste Landfrage und Bandenkriege.
Feuerbarrikaden legen den Verkehr lahm. Es dauert nicht lange, da brennen auch Busse und Autos. Die Demonstranten bewerfen die Polizei mit Steinen. Die antwortet mit Gummigeschossen. Mindestens zwei Menschen sterben.
Szenen von Gewalt begleiteten die jüngsten Proteste in Philippi, durch die Bewohner versuchten, auf ihr Elend aufmerksam zu machen. 25 Jahre nach dem Ende der Apartheid leben sie noch immer ohne Strom, Wasserleitungen oder Toiletten.
Vor fünf Jahren hatten sie ihre Wellblechhütten auf brachem Privatland aufgeschlagen. Kapstadts Verwaltung fühlt sich deshalb nicht zuständig für sie. Und auch die Landbesitzer wollen sie aus dem neuen Township, bekannt als Marikana, loswerden. „Selbst wenn ich nur einen Stuhl besitze und am Boden schlafen muss, ist dieses Dach über meinem Kopf mein Zuhause“, sagt die Bewohnerin Lindelwa Mbethe. Sie und ihre Nachbarn wollen standhaft bleiben.
Das Problem wurzelt in der Geschichte des Landes. Kolonialismus und Apartheid – beide Systeme enteigneten die schwarze Bevölkerung. Heute noch befinden sich mehr als 70 Prozent des fruchtbaren Bodens in den Händen der weißen Minderheit. Auch Wohnraum ist in den Städten rar. Das sorgt für Missstimmung. Der regierende ANC wollte die offene Bodenfrage schon in den Anfangsjahren der Demokratie geklärt haben, scheiterte aber an der Mammutaufgabe. 2018 sprach sich das Parlament für Enteignungen ohne Entschädigung aus; über das entsprechende Gesetz wird noch diskutiert.
Besiedlung, Hoffnung, Vertreibung – für Philippi ist der Streit um Land nicht neu. Vor 150 Jahren ließ sich hier eine Gruppe verarmter Bauern aus der Lüneburger Heide nieder. Die Kolonialregierung hatte sie angeworben, da man in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit den Deutschen gemacht hatte. „Wir wuchsen in einer Art Kolonie auf. Obwohl ich der fünften Generation angehörte, hatte Philippi immer noch eine ausgeprägte deutsche Identität“, sagt Lizette Rabe. Die Journalistikprofessorin erinnert sich an ihre Kindheit zwischen den Feldern, als sie die örtliche deutsche Schule besuchte. Noch heute spricht sie im „Philippi-Mischmasch“.
Das deutsche Erbe verschwand größtenteils, als das Apartheid-Regime die Region zur „schwarzen Zone“ erklärte. „Fast die Hälfte des Bodens deutscher Philippianer wurde in den 1960ern unter Anwendung des Group Areas Act enteignet“, so Rabe. Um Kapstadt zum Zentrum des weißen Südafrikas zu machen, siedelte man Schwarze und „Coloureds“ unter anderem nach Philippi um.
Jobs, vernünftige Wohnungen oder eine Perspektive fehlen in Philippi heute noch. Stattdessen gibt es jede Menge Probleme. Wie in anderen Kapstädter Townships haben bewaffnete Banden die Kontrolle übernommen. Fast täglich bekriegen sich die Gangs auf der Straße – und töten im Kampf um Geld und Drogenumschlagplätze auch unschuldige Passanten.
Vergangene Woche schickte die Regierung die Armee in die Townships. Sie soll das Morden in den „Cape Flats“, den Armutsbezirken, beenden. „Wir sehen uns mit der traurigen Realität konfrontiert, dass es mehr Beerdigungsvorbereitungen auf Friedhöfen als Neugeborene auf der Geburtenstation gibt“, erklärte Polizeiminister Bheki Cele im Parlament.
Viele Bewohner begrüßten die Nachricht, dass Soldaten kommen. Andere sind skeptisch. Experten warnen davor, das Militär als Heilsbringer zu feiern. Gareth Newham vom Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Pretoria fordert eine bessere Unterstützung der Menschen vor Ort. „Um das Problem nachhaltig zu lösen, brauchen die Gangster-Gemeinden endlich auch vollwertige Bildung und sinnvolle Arbeitsplätze.“
Von Markus Schönherr (KNA)
© KNA