„Die Ungleichheit vertieft Gräben“

„Die Ungleichheit vertieft Gräben“

Heiliges Land ‐ Die Corona-Pandemie hat nach Worten des Mainzer Weihbischofs Udo Bentz die Herausforderungen für die Christen im Heiligen Land noch zugespitzt. Er äußerte sich gestern im Anschluss an das „Internationale Bischofstreffen zur Solidarität mit den Christen im Heiligen Land“.

Erstellt: 22.01.2021
Aktualisiert: 22.01.2021
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Die Corona-Pandemie hat nach Worten des Mainzer Weihbischofs Udo Bentz die Herausforderungen für die Christen im Heiligen Land noch zugespitzt.

Der jähe Abbruch des Tourismus und Pilgerwesens hat die Christen besonders hart getroffen, sagt der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz im Anschluss an das „Internationale Bischofstreffen zur Solidarität mit den Christen im Heiligen Land“ im Telefoninterview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Jerusalem. Das jährliche Treffen fand wegen der Pandemie in diesem Jahr virtuell statt.

Frage: Herr Weihbischof, aufgrund des Coronavirus musste das jährliche Solidaritätstreffen mit den Christen im Heiligen Land in den virtuellen Raum verlegt werden. Wie sehr hat die Pandemie das Treffen inhaltlich bestimmt?

Bentz: Covid-19 war wie ein Grundtenor aller Gespräche. Aus Gaza wurde uns von einem Gesundheitssystem kurz vor dem Zusammenbruch berichtet. Gleichzeitig erfuhren wir von der Direktorin des größten christlichen Krankenhauses in Gaza und den Mitarbeitern der Caritas über die enorme Leistung, die dort geschieht. Diese Menschen strahlen enorm viel Zuversicht aus. Einer brachte es auf den Punkt: Das Gesundheitssystem kollabiere, die Menschlichkeit aber sei nicht kollabiert. Die wenigen Christen können so in ihrem Engagement Hoffnungsträger für das Ganze, für den sozialen Zusammenhalt sein.

Frage: Unterstreicht die Pandemie zusätzlich herrschende Unterschiede zwischen Israel und Palästina?

Bentz: Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den palästinensischen Gebieten ist wesentlich dramatischer als in Israel. Im Westjordanland fehlen staatliche Unterstützungen, wie es sie in Israel gibt. Auch am Beispiel der Impfsituation werden Unterschiede deutlich. Israel hat eine beeindruckende Impfstrategie, während die Bevölkerung der palästinensischen Gebiete in einer ganz anderen Situation ist. Die Ungleichheit vertieft Gräben und schafft neue Schwierigkeiten. Papst Franziskus sagte, angesichts einer Pandemie, die keine Grenzen kennt, dürfen wir in ihrer Bekämpfung – und dazu gehört das Impfen – keine Grenzen oder Mauern aufbauen. Wir müssen hier öffentlich an die Verantwortungsträger appellieren. 

Frage: Trifft die Pandemie Christen besonders?

Bentz: Ihre Auswirkungen treffen Christen insofern härter, als dass sie überdurchschnittlich in den Bereichen Tourismus, Pilgerwesen und Gastgewerbe arbeiten. Über Jahre war hier das Wachstum konstant, die Menschen haben entsprechend investiert und dabei Schulden gemacht. Mit Covid-19 kam es zu einem jähen Abbruch. Die Schulden bleiben. Wie kommt man aus dieser Situation heraus, lautet die Frage, die sich jetzt stellt.

Frage: Sie sind seit vielen Jahren regelmäßig im Heiligen Land. Sehen Sie Veränderungen?

Bentz: Herausforderungen haben sich durch Corona zugespitzt, ansonsten sehe ich keine dramatischen grundsätzlichen Veränderungen, erst recht keine deutlichen Verbesserungen. Die großen Entwicklungslinien und die Herausforderungen bleiben die gleichen. Nehmen wir das Beispiel der Schülerzahlen an christlichen Schulen. Sie gehen weiterhin zurück, in ländlichen und palästinensischen Gebieten sogar deutlich. Es ist ein Indikator, dass die Gesamtzahl der Christen rückläufig ist.

Frage: In die Zeit des Bischofstreffens fiel auch der Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden. In Israel wird im März erneut gewählt. Wie schätzen Ihre Gesprächspartner im Heiligen Land die Chancen der personellen Veränderungen für die Nahostregion ein?

Bentz: Der Wechsel der US-Administration war natürlich Thema. Allerdings war es erstaunlich, wie zurückhaltend sich Patriarch Pierbattista Pizzaballa und andere Gesprächspartner zu der Frage verhielten, was und wieviel sich unter Biden ändern werde. Ungeklärt ist auch noch, welche Priorität die Region für Biden haben wird. Man spürt eine gewisse Spannung zwischen einem zurückhaltenden Abwarten und doch vorhandenen Erwartungen. Die Frage wird auch sein, wie sich die politischen Kräfte nach den Wahlen in Israel verändern, gerade im Blick auf das rechte Spektrum. In den letzten Wochen etwa kam es in der Siedlungspolitik zu neuen Zuspitzungen. Die Siedlungspolitik ist klar auch Thema des israelischen Wahlkampfes. 

Frage: Auch die Palästinenser haben die ersten Wahlen nach 15 Jahren angekündigt.

Bentz: Auch das darf als Signal an die neue US-Administration verstanden werden. Gleichzeitig ist die Frustration bei den Palästinensern, gerade bei der jungen Generation, hoch. Zunehmend Skepsis wird etwa an der Realisierbarkeit einer Zweistaatenlösung geäußert, ohne jedoch Alternativen zu benennen. Es bleibt die Frage, ob es der neuen US-Regierung gelingen kann, beide Konfliktparteien zusammenzubringen und wieder zu Akteuren zu machen.

Frage: Kirchlich hat es mit der Ernennung von Erzbischof Pierbattista Pizzaballa zum Lateinischen Patriarchen von Jerusalem personelle Veränderungen gegeben. Wie sehen Sie die Lage im Bistum?

Bentz: Covid absorbiert enorm viel Aufmerksamkeit und lässt die grundsätzlicheren Perspektiven in den Hintergrund treten. Patriarch Pizzaballa hat jedoch deutlich gemacht, dass es für das Bistum an der Zeit sei, sich intensiv Gedanken über die Rolle der Christen für die Gesellschaft und über ihre Identität zu machen. In seiner vierjährigen Amtszeit als Administrator war die entscheidende Aufgabe die Restrukturierung und Konsolidierung des Patriarchats. Jetzt müsse die Frage im Zentrum stehen, was es bedeutet, Ortskirche in der Heimat Jesu zu sein. Es geht also um die Bistumsidentität und die innere Einheit der lateinischen Katholiken. Gleichzeitig betonte Pizzaballa die Bedeutung der Beziehungen zu den anderen Konfessionen, um zu einem gemeinsamen christlichen Zeugnis zu kommen.

Die Fragen stellte Andrea Krogmann

© Text: KNA