Impfskandale in Argentinien und Peru sorgen für Wut
Lima ‐ Politiker, Gewerkschafter und sogar ein Nuntius haben sich in Südamerika an der Impf-Warteschlange vorbeigemogelt. Die Volksseele kocht.
Aktualisiert: 22.11.2022
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Politiker, Gewerkschafter und sogar ein Nuntius haben sich in Südamerika an der Impf-Warteschlange vorbeigemogelt. Die Volksseele kocht.
Argentiniens Präsident Alberto Fernandez sucht sein Heil in der Flucht. Ein Staatsbesuch in Mexiko – auch das ist in Corona-Zeiten nicht selbstverständlich – soll das Interesse der Medien vom aktuellen Impfskandal ablenken. Denn seit Tagen wird in Argentinien über kaum ein anderes Thema so heftig diskutiert wie über die VIP-Impfaffäre. Im Heimatland von Papst Franziskus haben sich zahlreiche Politiker aus dem Regierungsapparat sowie ihm nahe stehende Funktionsträger aus Gewerkschaften und Gesellschaft einen schnelleren Zugang zu Corona-Impfungen genehmigt als der Rest der Argentinier.
Ans Licht brachte den Skandal der Journalist Horacio Verbitsky, als er in seinem Radioprogramm einräumte, dank seiner Freundschaft zum inzwischen zurückgetretenen Gesundheitsminister Gines Gonzalez Garcia bereits geimpft zu sein. Danach kamen immer mehr derartige Peinlichkeiten von Mitgliedern der privilegierten Gesellschaft zum Vorschein. Gonzalez Garcia setzte mit einem VIP-Programm kurzerhand die eigentliche Reihenfolge außer Kraft. Doch der Druck der Medien wurde zu groß; der Minister musste zurücktreten, und der Präsident hatte seinen Sündenbock. „Auf Ihren ausdrücklichen Wunsch reiche ich meinen Rücktritt ein“, ließ Gonzalez wissen.
Inzwischen stehen rund 3.000 verdächtige Impftermine im Fokus. Die Zeitung „La Nacion“ veröffentlichte am Dienstag die Liste mit Namen der prominenten Impf-Vordrängler. Hängen bleibt: Wer sich in Medien, Gewerkschaft und Beamtenapparat gut mit der Regierung stellt, ist früher dran als das gemeine Volk. Unterdessen fordert Amnesty International ein Treffen mit dem Gesundheitsministerium und fordert mehr Transparenz bei der Aufarbeitung der Affäre. Human Rights Watch hatte den Skandal schon zuvor scharf kritisiert.
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Die Volksseele kocht
Für Präsident Fernandez kommt die Affäre zu politischer Unzeit; der Linkspopulist muss sich ohnehin von der Opposition den Vorwurf gefallen lassen, die Justiz beeinflussen zu wollen, um Korruptionsermittlungen gegen die langjährige Präsidentin und amtierende Vizepräsidentin Cristina Kirchner zu unterlaufen.
Hinzu kommt: Argentiniens Gesellschaft verarmt in der Corona-Krise mehr und mehr. Laut offiziellen Angaben gelten inzwischen 47 Prozent der Bevölkerung oder 21 Millionen Argentinier als arm. Unzählige sind wegen des monatelangen knallharten Lockdowns hinzugekommen. Trotzdem ist Argentinien laut Johns Hopkins-Universität mit 115 Toten pro 100.000 Einwohnern eines der am härtesten von der Pandemie betroffenen Länder in Lateinamerika.
Und Argentinien ist nicht das einzige Land, in dem derzeit wegen VIP-Impfungen die Volksseele kocht. In einem ähnlich gelagerten Skandal forderte die Kirche in Peru eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe. In dem als „Vacuna-Gate“ bezeichneten Skandal hatte unter anderen Ex-Präsident Martin Vizcarra eingeräumt, dass er und seine Familie bereits vor Wochen mit ersten Impfdosen des chinesischen Herstellers Sinopharm heimlich immunisiert worden seien.
Auch der päpstliche Nuntius ließ sich impfen
Bei weiteren Untersuchungen kam ans Licht, dass sich auch andere Politiker, Diplomaten und ranghohe Beamte weit vor dem offiziellen Impfstart schützen ließen; darunter auch der päpstliche Nuntius in Peru, Erzbischof Nicola Girasoli. Der Skandal löste eine Rücktrittswelle aus und könnte strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.
Der Vatikandiplomat Girasoli räumte schriftlich ein, er sei von einer Universität zu einer frühzeitigen Impfung eingeladen worden, da er dort als Berater für Ethikfragen fungiere. Limas Erzbischof Carlos Castillo Mattasoglio bezeichnete die Erklärung des Nuntius in einem Radio-Interview als unzureichend. „Dass er auf der Liste stand, schmerzt uns sehr“, erklärte er. Die Peruanische Bischofskonferenz sieht in dem Impfskandal „ein neues Antlitz des Monsters namens Korruption“.
Von Tobias Käufer (KNA)
© Text: KNA