Brasilien: Empörung über „Wind-Impfungen"
Pandemie ‐ Zuletzt machten Meldungen über Scheinimpfungen in Brasilien die Runde. Doch kriminelle Energie des Impfpersonals ist nicht das eigentliche Problem. Es gibt viel zu wenig Dosen.
Aktualisiert: 19.09.2022
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Die Covid-19-Impfkampagne in Brasilien stand zuletzt im Fokus der Aufmerksamkeit. Auslöser waren in den Sozialen Netzwerken verbreitete Videos, die Betrug beim Impfen älterer Menschen belegen sollten. So soll statt des Impfstoffes nur "Wind" injiziert worden sein, sprich: die Spritze war leer. Rasch verbreiteten sich Vermutungen, dass das Impfpersonal die nicht gespritzten Dosen unter der Hand weiterverkauft.
Die Fälle ereigneten sich auf den „Impfstraßen“, auf denen durch die offene Autotür oder das Autofenster geimpft wird. Brasilien setzt verstärkt auf diese Methode, um die Impfung älterer Menschen sicherer und schneller zu machen. Da die mit im Auto sitzenden Angehörigen die Impfung filmten, konnte der Betrug aufgedeckt werden.
Als erstes sorgte der Fall einer 85-jährigen Frau für Aufmerksamkeit, der am 27. Januar in Rios Strandviertel Copacabana eine Wind-Impfung verpasst wurde. Schuld soll ein Missverständnis gewesen sein zwischen der Ärztin, die die Spritze aufzog, und der Ärztin, die die Impfung verabreichte. Am 12. Februar sorgte ein weiterer Fall für Aufsehen. In Rios Stadtteil Barra pikste ein Medizinstudent zwar den Patienten, „vergaß“ jedoch den Kolben zu drücken. Nachdem sich die Angehörigen beschwerten, wurde noch einmal neu geimpft.
Seit dem Beginn der landesweiten Impfkampagne Ende Januar wurden bereits 8,5 Millionen Impfungen verabreicht. Bisher gibt es laut Medienberichten dabei 13 Fälle sogenannter „Wind-Impfungen“. In einigen Fällen sollten die Scheinimpfungen wohl verdecken, dass das Impfpersonal durch einen Fehler zuvor eine Dose verloren hatte. Die Justiz verfolgt lediglich einen Fall, bei dem vermutet wird, dass die nicht verabreichte Impfung unter der Hand weiterverkauft wurde.
Wer Impfstoffe entwenden und unter der Hand weiterverkaufen will, würde anders vorgehen, erklärt die Epidemiologin Ethel Maciel von der Bundesuniversität UFES. So sei es am einfachsten, am Ende des Impftages ein neues Fläschchen zu öffnen und die Reste zu verkaufen. Die in Brasilien vom Butantan-Institut abgefüllten Fläschchen mit dem chinesischen Impfstoff CoronaVac enthalten offiziell genug Flüssigkeit für zehn Impfungen. Butantan informierte zuletzt, dass die Menge auch zwölf Impfungen hergebe. Nicht verimpfte Reste sollen eigentlich entsorgt werden.
Überhaupt mangele es bei den offiziellen Impfzahlen der Regierung an Transparenz, analysiert Maciel. Meldungen über Impfungen von Personen, die noch nicht an der Reihe waren, häufen sich. Oft handelt es sich um Familienangehörige von Politikern. Zudem gab es bereits einige Fälle, in denen Hunderte von Impfdosen nach offiziellen Angaben vernichtet wurden, nachdem die Kühlkette unterbrochen wurde.
Anzeichen eines Schwarzmarktes für Corona-Impfstoffe in Brasilien gibt es nach Medienberichten bisher jedoch nicht. Allerdings erwarten Experten, dass es angesichts der schleppend verlaufenden Impfkampagne der Regierung früher oder später dazu kommen wird. Präsident Jair Messias Bolsonaro ist ein erklärter Impfgegner und hatte die Beschaffung der Mittel lange hinausgezögert.
Nun hat Brasilien Schwierigkeiten, ausreichende Mengen an Impfstoffen weltweit einzukaufen. Immer wieder müssen Impftermine wegen Impfstoffmangels abgesagt werden. Anträge von Unternehmern und Privatkliniken, eigenständig Impfstoffe im Ausland einkaufen zu dürfen, lehnte die Regierung unter Verweis auf ihr Impfmonopol jedoch bisher ab.
Von Thomas Milz (KNA)
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