Nicaragua auf dem Weg ins Ungewisse
Zentralamerika ‐ Menschenrechtsorganisationen, Kirche und Vereinte Nationen ermahnen die Sandinisten in Managua. Doch das Regime geht unbeirrt seinen Weg.
Aktualisiert: 26.10.2022
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Aus seinem „Exil“ zieht Managuas früherer Weihbischof Silvio Baez ein realistisches Fazit: Die bisherigen Anstrengungen, einen Wandel herbeizuführen, hätten sich als unzureichend erwiesen, zitierte das Portal „100 Prozent Noticias“ Baez vor einigen Tagen. Der in Nicaragua populäre Bischof ist mal wieder Gegenstand von Spekulationen.
Da in dem krisengeschüttelten Land bald eine Stelle an der Spitze des Bistums Esteli frei wird, brachte der dort aus Altersgründen scheidende Bischof Juan Abelardo Mata (74) den von Papst Franziskus nach Morddrohungen 2019 ins Ausland abberufenen Baez ins Spiel. Doch Priester Miguel Mantica aus der Pfarrei San Francisco de Asis macht den Gläubigen nur wenig Hoffnung auf eine Rückkehr des 62-jährigen Baez.
Der Papst wolle ein ähnliches Märtyrertum vermeiden, wie es in El Salvador der inzwischen heiliggesprochene Erzbischof Oscar Romero erlebte, der 1980 von rechten Paramilitärs erschossen wurde. Auch gegen Baez gab es in den vergangenen Jahren Morddrohungen, so dass ihn Franziskus aus Nicaragua abzog. Es gab allerdings auch Stimmen in der dortigen Opposition, die Franziskus eine gewisse Sympathie zum linksgerichteten Sandinisten-Regime nachsagen.
Der Fall Baez zeigt: Nichts ist derzeit unklarer in Nicaragua als die Zukunft. Wenige Monate vor den Wahlen hagelt es internationale Proteste von Menschenrechtsorganisationen, Vereinten Nationen, Interamerikanischer Menschenrechtskommission, katholischer Kirche. Sie alle fordern eine Wahlrechtsreform, die einen transparenten und fairen Urnengang ermöglichen soll.
Prominenteste Mahnerin ist UN-Menschenrechtshochkommissarin Michelle Bachelet. Sie erklärte Ende Februar, die Regierung müsse mit effektiven Reformen und einem Dialog glaubwürdige, friedliche und transparente Wahlen auf den Weg bringen. Doch bislang hat sich das Regime von Präsident Daniel Ortega und seiner Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo nicht bewegt. Im Gegenteil, die Lage für die Opposition wurde noch schlimmer.
Dabei sind die Vorwürfe immens. Ein neues Gesetz verbietet sogenannten Verrätern, für ein öffentliches Amt zu kandidieren oder dieses zu bekleiden. Wer genau dabei ein „Verräter“ ist oder was einen Verrat ausmacht, bleibt im Ungefähren. Genau dieser Ermessensspielraum aber macht es einer regierungsnahen Justiz oder der Regierung möglich, aussichtsreiche Bewerber der Opposition kurzfristig aus dem Verkehr zu ziehen. Es ist nicht mal klar, wer tatsächlich entscheidet, wer ein „Verräter“ ist.
Entsprechend pessimistisch sieht Jose Miguel Vivanco, Amerika-Direktor von Human Rights Watch, die Lage: „Mit diesem Gesetz gibt es wenig bis gar keine Hoffnung auf freie und faire Wahlen in Nicaragua.“ Ähnlich sieht es die katholische Bischofskonferenz des Landes: Eine Wahlrechtsreform sei dringend, „damit wir nicht erneut in einen neuen Betrug hineingeraten“.
Nicht nur die fehlenden Rahmenbedingungen für faire Wahlen besorgen unabhängige Beobachter. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH verurteilte jüngst das gewaltsame Vorgehen von Sicherheitskräften gegen Nichtregierungsorganisationen; internationale Presseverbände kritisieren offene Drohungen und Gewalt gegen Journalisten. Hinzu kommt: Die Opposition gibt bislang noch kein geschlossenes Bild ab.
Das alles ist die Fortsetzung einer nun beinahe drei Jahre andauernden Krise in dem mittelamerikanischen Land. Nicaragua erlebte 2018 den Auftakt landesweiter Proteste gegen die Regierung von Präsident Ortega. Seit Beginn kamen rund 350 Menschen ums Leben; Tausende wurden verletzt.
Von Tobias Käufer (KNA)
© Text: KNA