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Die aktuelle Hungerkrise auf Madagaskar hat viele Ursachen

Afrika ‐ „Kere“ nennen die Menschen im Süden Madagaskars die chronisch auftretenden Hungersnöte. Nach mehreren Dürrejahren spitzt sich die Situation seit Monaten zu. Eine Zwischenbilanz.

Erstellt: 10.06.2021
Aktualisiert: 15.11.2022
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Im Februar setzt Benjamin Marc Ramaroson einen Brandbrief auf. Pfarreien und Ordenshäuser auf Madagaskar seien zu „Flüchtlingscamps“ für hungernde Menschen aus dem Süden des Landes geworden, schreibt der katholische Erzbischof von Antsiranana, einer Hafenstadt im Norden des afrikanischen Inselstaates. Abertausende hätten ihre Dörfer verlassen, so Ramaroson. So etwas habe es in der Geschichte des Landes noch nie gegeben.

Dabei sind die Madegassen Kummer gewohnt. Kere heißt die chronisch auftretende Hungersnot im Süden des Landes. Ein ganzes Bündel an Ursachen ist dafür verantwortlich, angefangen von jahrzehntelanger Korruption über ein lückenhaftes Netz an Straßen und Brunnen bis hin zu Bevölkerungswachstum sowie Brandrodung und Abholzung von Regenwald. Doch jetzt kommen die Folgen des Klimawandels und der Corona-Epidemie hinzu: Eine seit mehreren Jahren andauernde Dürre hat den meist von Ackerbau und Viehzucht lebenden Menschen ihre Existenzgrundlage geraubt. Und die Corona-Beschränkungen erschweren Helfern einen direkten Zugang zu den Betroffenen.

Seit Monaten warnen Helfer vor dem Kollaps. Laut UN-Angaben handelt es sich um die schlimmste Dürre in Madagaskar seit 40 Jahren. Inzwischen leiden im Süden der Insel über eine Million Einwohner an Hunger. Sandstürme haben große Teile des Ackerlandes in Ödland verwandelt. Die Ernte von Reis, Mais, Maniok oder Hülsenfrüchten wird 2021 voraussichtlich weniger als die Hälfte des Fünf-Jahres-Durchschnitts betragen.

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Es ist ernst

„Wir sehen völlig mittellose Menschen, die buchstäblich nichts zu essen haben und ums nackte Überleben kämpfen“, sagt Julie Reverse, Einsatzleiterin von Ärzte ohne Grenzen. „Manche mussten alles verkaufen, sogar ihr Kochgeschirr, und haben jetzt nicht einmal Behälter, um Wasser zu holen.“ Marlene Müller, Programmkoordinatorin der Welthungerhilfe berichtet, dass die Menschen sich von Blättern, Beeren und Heuschrecken ernähren. „Es ist wirklich sehr ernst.“

Im Gegensatz dazu steht das internationale Engagement. „Bis vor wenigen Wochen war das Interesse an der Hungersnot im Süden von Madagaskar beschämend gering“, beklagt Anne Sturm von Verein der Freunde der AIC Madagaskar in Herne. Generell seien die Hilfsprogramme für das Land unterfinanziert, sagt Frank Wiegandt, Länderreferent bei Misereor, in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Das Werk für Entwicklungszusammenarbeit setzt auf die Kooperation mit Kräften der Zivilgesellschaft, um die Not der Menschen zu lindern. Ein wichtiger Partner sei die katholische Kirche, so Wiegandt. „Mit ihr können wir punktuell und lokal sehr gut Entwicklungsprojekte voranbringen – und erreichen die Zielgruppen, ohne dass korrupte Behörden Mittel abzweigen.“

Grundsätzliche Wende nötig

Mit der Ordensgemeinschaft der Vinzentinerinnen will Misereor die Ernährung von 300 Personen, insbesondere Kindern und Frauen, im Distrikt Ambovombe verbessern, dem Epizentrum der Krisenregion. Dafür wollen die Helfer ein Ernährungszentrum in der Gemeinde Tsimananada errichten. Von dort aus soll der Kauf von Lebensmitteln organisiert werden ebenso wie die Zubereitung von warmen Mahlzeiten. Den Zugang zu Nahrung und Wasser sicherstellen – das versucht derzeit auch die Welthungerhilfe.

Vielleicht lässt sich die Katastrophe noch einmal abwenden. Mittel- und langfristig bräuchte es aber eine grundsätzliche Wende auf Ebene von Politik und Gesellschaft, schreibt Erzbischof Ramaroson. Vor allem eine schonende Nutzung der natürlichen Ressourcen und ein intelligentes Wassermanagement seien dringend vonnöten. Die Helfer könnten dazu beitragen, entsprechende Maßnahmen in die Tat umzusetzen. Voraussetzung für deren Erfolg sei allerdings der Wille der politisch Verantwortlichen auf Madagaskar.

Von Joachim Heinz (KNA)

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