Schwieriger Friede im Herzen Nigerias

Schwieriger Friede im Herzen Nigerias

Jos ‐ Während die Ausschreitungen in der Provinzhauptstadt Jos abgenommen haben, erlebt Nigerias „Middle Belt“ gerade eine neue Welle der Gewalt. Es fehlt an Ursachenforschung und nachhaltigen Strategien.

Erstellt: 03.02.2022
Aktualisiert: 27.09.2022
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Der Schriftzug auf den Nummernschildern von Plateau im Zentrum Nigerias klingt einladend: „Home of Peace and Tourism“ - „Heimat von Frieden und Tourismus“ - steht darauf. Rund 3,5 Millionen Einwohner zählt der Bundesstaat, der einst wegen seines Klimas, den guten Böden und Bedingungen für Landwirtschaft beliebt war und über Jahrzehnte viele Missionare und Kirchen anzog. Doch schon lange hat er seinen Beinamen gewechselt und wird heute als Nigerias „Unruhe-Staat“ bezeichnet. Erst Mitte Januar starben im Landkreis Bassa nördlich der Provinzhauptstadt Jos wieder 15 Menschen; am 2. Januar waren es 3, Ende November 10.

Diese Entwicklung besorgt Ordensfrau Nenlidang Gochin zutiefst. Die Franziskanerin bringt in Projekten Christinnen und Musliminnen zusammen und arbeitet mit Jugendlichen. Gerade in ländlichen, ärmlichen Gegenden wie Bassa beobachtet sie: „Die Menschen fühlen sich nicht sicher.“ Immer wieder werden Straßenzüge niedergebrannt und Ernten vernichtet. Wie in ganz Nigeria gibt es zudem Entführungen, mit denen Lösegeld erpresst werden soll. Doch dauerhaften Schutz gebe es nicht, so die Ordensfrau. Sicherheitskräfte kämen nur nach schweren Anschlägen in die Dörfer.

Nenlidang Gochin beklagt zudem eine mangelnde Ursachenforschung und Aufklärung der Straftaten. „Es ist doch wichtig zu wissen, wer für die Entführungen verantwortlich ist. Sind es etwa arbeitslose Jugendliche? Dann könnte die Schaffung von Arbeitsplätzen helfen.“

Die Folgen sind verheerend. Kommt es zu Gewalt gegen die Landbevölkerung, ist die Angst groß, die Felder zu bestellen. Das wiederum verursacht Ernteausfälle. Angriffe auf Kaufleute, die Waren über Land transportieren, schränken den Handel ein. Wer es sich leisten kann, versucht zu fliegen, was für die Masse aber zu teuer ist. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf.

Für die Gewalt machen die Farmer oft Viehhirten verantwortlich, die der ethnischen Gruppe der Fulani angehören und Muslime sind. Die Farmer sind überwiegend Berom und Irigwe – und Christen. Was oft als ethnisch-religiöser Konflikt dargestellt wird, hat allerdings mehr mit dem Klimawandel zu tun, einer Verknappung von Weideflächen und Äckern bei stark wachsender Bevölkerung. Möglich, dass der Konflikt auch von bewaffneten Gruppierungen angeheizt wird. Die wiederum profitieren vom Misstrauen innerhalb der Dörfer. Einmal in der Gewaltspirale angekommen, ist längst nicht immer klar, was einen Konflikt ausgelöst hat.

Auch nach Jahrzehnten nicht dieselben Rechte

Wie schwierig das Leben danach ist, erlebt Salis Muhammad Abdulsalam in der Provinzhauptstadt Jos. Er hat die nichtstaatliche Initiative „Gesicht des Friedens“ ins Leben gerufen. 2001, 2008 und 2010 kam es hier zu schweren Ausschreitungen; mehrere tausend Menschen starben. Häufig werden sie als Kampf zwischen Christen und Muslimen dargestellt; doch Experten betonen, dass dies vielmehr die Schwierigkeiten mit dem sogenannten Indigenenstatus aufzeigt. Siedler – oft muslimische Haussa und Fulani – haben nicht dieselben Rechte und denselben Zugang zu Ressourcen wie andere ethnische Gruppen, selbst wenn sie seit Jahrzehnten dort leben. Die Unzufriedenheit darüber eskalierte regelmäßig und endete in blinder Gewalt.

Die Folgen sind bis heute spürbar, obwohl es zumindest in der Stadt keine Ausschreitungen mehr gibt: „Aus Angst voreinander trauen sich junge Menschen nicht mehr in Viertel, in denen sie nicht zur Mehrheit gehören“, sagt Abdulsalam. Christen gingen ungern in muslimische Stadtteile und umgekehrt. Er bringt sie deshalb mit Fußballturnieren zusammen. Ende Januar startet das nächste.

Es ist ein langwieriger Prozess. Schon als Studentin engagierte sich Maimuna Abdullahi in Friedensprojekten und ist heute in der „Fraueninitiative für nachhaltige kommunale Entwicklung“ (Wiscod) aktiv. Sie arbeitet mit Frauen zusammen, die – so hofft sie – den Friedensgedanken an ihre Kinder weitergeben. Für ihre Arbeit hat sie sich aber noch etwas anderes vorgenommen: „Religion darf nicht mehr missbraucht werden. Zumindest in Jos verstehen das zum Glück immer mehr Menschen.“

Von Katrin Gänsler (KNA)

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