Hollerich: Kirche muss zuhören – nicht mit sich selbst reden

Hollerich: Kirche muss zuhören – nicht mit sich selbst reden

Rom ‐ Kirche muss nach Ansicht des Luxemburger Kardinals Jean-Claude Hollerich stärker den Dialog mit Andersdenkenden suchen. „Wenn wir nicht in einer abgeschotteten Gesellschaft leben wollen, müssen wir uns gegenseitig die Geschichten anhören können“, so der Präsident der EU-Bischofskommission COMECE. Große Hoffnungen setzt er in die Weltsynode, die er als Generalberichterstatter begleitet.

Erstellt: 05.02.2022
Aktualisiert: 28.07.2022
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Kirche muss nach Ansicht des Luxemburger Kardinals Jean-Claude Hollerich stärker den Dialog mit Andersdenkenden suchen. „Wenn wir nicht in einer abgeschotteten Gesellschaft leben wollen, müssen wir uns gegenseitig die Geschichten anhören können“, sagte der Präsident der EU-Bischofskommission COMECE im Interview der französischen Zeitung „La Croix“ in Rom. Man müsse versuchen, „andere zu verstehen, Brücken zur Gesellschaft zu bauen“.

Hollerich fragt weiter: „Was würde es uns nützen, uns zu äußern, wenn uns nicht zugehört wird? Sprechen wir zu uns selbst, um uns zu versichern, dass wir auf der sicheren Seite sind? Ist es, um unsere eigenen Gläubigen zu beruhigen? Oder sprechen wir, um gehört zu werden?“

Hollerich hält es für notwendig, „Dialoge und Freundschaften mit Entscheidungsträgern oder politischen Führern zu pflegen, die anders denken“. Auch wenn diese keine Christen seien, teile man mit vielen doch eine „ehrliche Sorge, zum Wohl der Gesellschaft zusammenzuarbeiten“.

In diesem Zusammenhang kritisierte der Jesuit allerdings auch Tendenzen, Religion wie einen Supermarkt zu verwenden und sich nur bestimmte, genehme Inhalte auszusuchen. Er kenne Politiker, „die sich überzeugte Christen nennen, gegen den Klimawandel kämpfen, aber im EU-Parlament für Abtreibung als ein Grundrecht stimmen und die Gewissensfreiheit von Ärzten einschränken“, sagte Hollerich.

Man könne Christdemokrat, Sozialist oder Grüner sein, während man zugleich Christ sei. „Diese Vielfalt politischer Formationen kommt auch der Gesellschaft sehr zugute“, so Hollerich. Doch Politiker neigten oft dazu, ihre Religiosität zu verbergen und sie nur im privaten Bereich zu leben. „In diesem Fall ist es keine Religion mehr, sondern eine persönliche Überzeugung. Religion braucht einen öffentlichen Raum, um sich auszudrücken“, so der Luxemburger Kardinal.

Hoffnung in die Weltsynode

In die aktuelle Weltsynode der katholischen Kirche setzt der Luxemburger Kardinal große Hoffnungen. „Wir sind eine Kirche auf dem Weg, eine Kirche im Wandel“, sagte er. Die Richtung werde von der Basis bestimmt.

Zugleich gab der Erzbischof zu bedenken: „Diese Form sind wir in der katholischen Kirche nicht gewöhnt.“ Er appellierte, nicht auf die Versammlung im Herbst 2023 in Rom zu warten. Alles, was jetzt an Kritik und an Lob, an Befürchtungen und Hoffnungen geäußert werde, fließe in die Synode ein. Eine wichtige Rolle maß er dabei Männern und Frauen an der Kirchenbasis bei – nicht in erster Linie den Bischöfen.

Papst Franziskus hatte die Weltsynode im Oktober in Rom eröffnet. Geplant ist ein mehrstufiger Prozess mit dem Titel „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“. 2023 soll in Rom eine weltweite Bischofssynode stattfinden, die über die gesammelten Themen berät und Reformvorschläge an den Papst formuliert. Hollerich kommt als Generalberichterstatter eine wichtige Position zu. Er wird beispielsweise maßgeblich für die Erstellung des Arbeitstextes verantwortlich sein.

Hollerich betonte, die Leitfragen aus dem Vatikan seien bewusst offen gehalten und sollten von den Ortskulturen und -kirchen in „lokale Musik übersetzt“ werden. „Wenn man diese Übersetzung leistet, dann kommt auch etwas Konkretes für die Ortskirchen heraus“, so der Kardinal. Das Leitwort der Synode beziehe sich auf Herausforderungen wie Frieden, Gerechtigkeit und Klima, die im Großen und im Kleinen angegangen werden müssten. Es gelte, Rücksicht auf arme Menschen, die Umwelt und nachfolgende Generationen zu nehmen. „Es geht darum, dass wir unseren Lebensstil ändern. Auch ich muss mich ändern und mich als Bischof darauf einlassen“, sagte Hollerich.

Mit Blick auf sein Amt als Generalberichterstatter betonte der Kardinal, dass er sich vorab mit inhaltlichen Einschätzungen zurückhalten wolle, um die Debatte nicht in eine Richtung zu drängen. Auch fühle er sich in erster Linie verpflichtet, zuzuhören – und „ich will bereit sein, meine eigene Meinung auch zu ändern“, betonte er.

Im Erzbistum Luxemburg ist ein Team für die Gestaltung der Synode verantwortlich, das sich unter anderem um Gespräche, Austausch und Konferenzen kümmert. Ein Mitglied dieses Teams, Jean-Louis Zeien, appellierte, der Synode eine Chance zu geben und nicht zu sagen „so etwas hatten wir noch nie, so etwas geht nicht“. Wer eine Chance sehe, der könne auch zu Veränderungen und Ergebnissen kommen.

Kardinal Jean-Claude Hollerich

Kardinal Jean-Claude Hollerich (63) ist seit 2011 Erzbischof im traditionell katholisch geprägten Luxemburg. Am 9. August 1958 im luxemburgischen Differdingen geboren, studierte er Ende der 70er Jahre in Rom Theologie. 1981 trat er in den Jesuitenorden ein und verbrachte in den 80er und 2000er Jahren jeweils mehrere Jahre in Tokio. 2018 übernahm Hollerich das Amt des Vorsitzenden der EU-Bischofskommission COMECE. In dieser Funktion setzt er sich als Vermittler zwischen unterschiedlichen Sichtweisen für eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage ein. 2021 wurde Hollerich zusätzlich zum Vizepräsidenten des Rates der europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) gewählt. 2019 nahm Papst Franziskus seinen Ordensbruder ins Kardinalskollegium auf. Es folgten die Mitgliedschaften in drei Vatikanbehörden: im Päpstlichen Kulturrat, dem Rat für den interreligiösen Dialog sowie der Bildungskongregation. Im Juli 2021 ernannte Papst Franziskus Hollerich zum Generalrelator der Weltbischofssynode zum Thema Synodalität.

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