Parallel zur Alphabetisierungsbewegung in Brasilien (die mit dem Namen Paulo Freire verknüpft ist) und anderen basispädagogischen Bewegungen entsteht in der lateinamerikanischen Kirche die Bewegung und das Netzwerk der Basisgemeinden: kleine, meist lokal gebundene Gemeinschaften von gläubigen Laien, die sich regelmäßig treffen, um über ihren Glauben, die Bibel und ihr Alltagsleben zu sprechen. Aus dieser Basisgemeindenbewegung wird in manchen Ländern eine starke politische Kraft, die sich auch mit traditionell kirchenkritischen gesellschaftlichen Kräften wie den Gewerkschaften und linken politischen Parteien verbündet.
Die „Option für die Armen”
Zentraler Bezugspunkt der Theologie der Befreiung bis heute ist die so genannte Option für die Armen. Angesichts eines gesellschaftlichen Konflikts zwischen Reichen und Armen, zwischen Mächtigen und Ausgebeuteten, zwischen staatlicher Gewalt und Verfolgung, kann die Kirche nicht versuchen, Neutralität zu behaupten. Sie muss die eine oder andere Position beziehen; und zwar muss sie sich entscheiden, wie der Gott der Bibel auf der Seite der Schwachen, Armen und Verfolgten zu stehen. Diese Überzeugung wurde auf der Gesamtkonferenz des lateinamerikanischen Episkopats in Medellín (Kolumbien) 1968 zum ersten Mal formuliert und auf der Folgekonferenz in Puebla (Mexiko) 1979 mit dem Begriff der „vorrangigen Option für die Armen” erneut bestätigt.
Befreiungstheologie im Konflikt
Trotz dieser hochrangigen und klaren bischöflichen Unterstützung der Befreiungstheologie wurde sie von Beginn an in Lateinamerika und Europa angefeindet und seit 1983 auch immer stärker durch die Glaubenskongregation des Vatikans kritisch angefragt. 1984 und 1986 veröffentlichte diese Kongregation zwei Instruktionen gegen die Theologie der Befreiung, die weithin als massive Verurteilung betrachtet wurden und massive Schwierigkeiten für Bischöfe, Theologen und Theologinnen, die sich dieser Theologie verpflichtet wussten, nach sich zogen. Obwohl Papst Johannes Paul II. gleichzeitig im Dialog mit den brasilianischen Bischöfen die Legitimität und Notwendigkeit der Befreiungstheologie unterstrich, wurde seit Mitte der achtziger Jahre vielen Theologen die Lehrerlaubnis entzogen.