Frage: Herr Erzbischof, wie hart hat Corona die Flüchtlingshilfe getroffen?
Heße: Wegen Corona ist das gesamte Leben heruntergefahren worden, aber die Menschen auf der Flucht trifft Corona besonders hart. Wir kennen die fürchterliche Lage etwa auf den griechischen Inseln. Deswegen ist es unser Anliegen als Kirche, den Blick auf diese Menschen zu richten, damit sie nicht übersehen werden. Das ist auch durch einige Maßnahmen geschehen.
Frage: Welche zum Beispiel?
Heße: Es geschah vor und hinter den Kulissen. Wir sind mit vielen Behörden im Gespräch, um immer wieder darauf zu drängen, dass den Flüchtlingen geholfen wird. Viele Stellen haben sich des Themas durchaus angenommen, so unser Eindruck. Die Frage ist natürlich immer, was man derzeit erreichen kann. Mit Corona machen wir eine Grenzerfahrung, darauf konnte sich keiner vorbereiten. Es ist aber beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen sich gerade auch in der Corona-Zeit sehr solidarisch mit Flüchtlingen zeigen.
Frage: Am 1. Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Welche Erwartungen haben Sie?
Heße: Mir ist es ein Anliegen, dass Deutschland einen deutlichen Akzent auf das Schicksal der Flüchtlinge legt. Wir als Kirche setzen uns dafür ein, dass Europa eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik entwickelt und Wege zu einem gerechten und solidarischen Miteinander zwischen den Staaten findet. Es kann nicht nur alles auf den Staaten an den Außengrenzen der EU lasten. Ein Ziel muss sein, sich weiter für sichere Zugangswege nach Europa einzusetzen, gerade für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge wie unbegleitete Minderjährige und Frauen. Außerdem brauchen wir gute und ausreichend viele Verfahren für die Aufnahme in allen EU-Mitgliedsstaaten.
Frage: Die europapolitische Sprecherin der Grünen, Franziska Brantner, hat die Kirchen aufgerufen, mit einem gemeinsamen Wort zur Asylpolitik anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein Zeichen zu setzen. Was halten Sie von der Idee?
Heße: Es ist guter Brauch, dass es ein ökumenisches Wort der Kirchen gibt, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Und darin spielt das Thema Flucht und Migration eine wichtige Rolle. Die katholische und die evangelische Kirche haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder gemeinsam zu Fragen der Flüchtlingspolitik geäußert; das werden wir auch künftig tun. Aktuell sind wir dabei, ein neues ökumenisches Grundlagenwort zu formulieren, das an das Gemeinsame Wort aus dem Jahr 1997 anknüpft.