Glaube mit unterschiedlichen kulturellen Voraussetzungen
Zusätzlich zur generellen Glaubensdisposition der Länder unterscheiden sich die kulturellen Voraussetzungen, unter denen das Christentum gelebt wird. Vor allem in West- und Mitteleuropa ist die Säkularisierung oft weit fortgeschritten. Der Glaube ist zum großen Teil Privatsache geworden und wird in der öffentlichen Diskussion permanent hinterfragt – genauso wie jene, die ihn vermitteln sollen. Wer in diesen Ländern Priester werden will, muss sich durchbeißen. Denn mit ungetrübter Zustimmung kann er nicht rechnen. Zudem sorgen innerkirchlich Mitgliederschwund und das Wegbrechen aktbekannter Strukturen für Verunsicherung und Konflikte – vor allem an der Basis. Also auch im Inneren keine gute Ausgangslage für künftige Priester.
Ganz anders in Afrika und Asien: Dort ist die Religiosität noch ganz selbstverständlicher Teil des Alltags, auch in der Öffentlichkeit. Der Wunsch, Priester zu werden, trifft dort auf Anerkennung und Unterstützung. Es ist also wesentlich einfacher, eine Berufung auch zu leben.
Dazu kommen noch einige Vorzüge, die das Priesteramt in diesen Ländern mit sich bringt. Zum einen garantiert der Eintritt ins Priesterseminar jungen Männern eine überdurchschnittliche Bildung. Dadurch können sie in der Gesellschaft aufsteigen. Ein weiterer Bestandteil dieses Aufstiegs ist die Stellung des Priesters an sich. Er wird dort wesentlich mehr als hierzulande auch außerhalb des Gottesdienstes als Führungspersönlichkeit wahrgenommen. Wer sich weihen lässt, bekommt also Verantwortung. Der Sprecher des katholischen Hilfswerks Missio, Johannes Seibel, hat viel mit jungen Priestern anderer Kontinente zu tun. Von ihnen weiß er: „Es ist der Wunsch nach Bildung, der Wunsch, etwas zu verändern und zu gestalten, der oft nur in der Kirche verwirklicht werden kann und der dann mit dem Priesterberuf verbunden ist.“
Die Stimme der Zivilgesellschaft
Denn Priester sind in vielen dieser Länder die Stimme der Zivilgesellschaft. Durch die Weihe können auch Männer aus weniger privilegierten Familien in ihrer Heimat die Dinge zum Besseren bewegen und die Kultur prägen. So bringen etwa im Nordosten Indiens Indigene ihre Traditionen in die Priesterseminare und damit auch in die Kirche mit ein. Sie erfahren durch das Priestertum eine Art Empowerment – ein wichtiger Faktor in einer Region, in der Indigene oft sozial abgehängt sind und Diskriminierung erfahren.
Vor allem in Ländern, die politisch oder wirtschaftlich instabil sind, nehmen Priester eine besondere Rolle in der Gesellschaft ein. Sie kümmern sich um diejenigen, die unter Bürgerkriegen, Hunger, den Folgen des Klimawandels oder Repressionen wegen ihrer Religionszugehörigkeit leiden. Sie erhalten von den Priestern nicht nur Unterstützung, sondern bekommen durch sie auch Gehör in der Gesellschaft. Eine andere Tendenz hat Missio-Sprecher Seibel etwa in Vietnam erlebt. Dort sind einige Priester zu Bloggern geworden und setzen sich so für Menschenrechte, Meinungs- und Glaubensfreiheit ein. Sie können zwar nicht offen gegen den Staat schreiben, doch ihre Stimme wird in der Bevölkerung gehört. Im Kleinen können sie Veränderungen anmahnen und anstoßen.
Priester sein heißt in diesen Ländern also mehr, als eine Gemeinde zu leiten. Darauf geht auch die Ausbildung ein. Deren Abläufe und Inhalte sind zwar international relativ ähnlich, in jedem Land werden aber auch regionalspezifische Extraqualifikationen vermittelt. Wird man also in einer Region Priester, wo die Christen nur eine Minderheit sind oder es Konflikte mit anderen Religionen gibt, stehen die Themen Konfliktprävention und interreligiöser Dialog mit auf dem Stundenplan. Priester versuchen hier häufig, sich etwa mit örtlichen Imamen zusammen zu tun, um Gewalt und Feindschaft zwischen den Religionen vorzubeugen und entgegenzuwirken.
Das starke Band der Minderheit
Auch die Minderheitenposition an sich kann zu mehr Priestern in einer Region führen. Denn in solchen Fällen wird Religion oft etwas Identitätsstiftendes, sie schweißt die Menschen zusammen. Das lässt dann auch die Bereitschaft wachsen, dem Ruf zum Priestertum zu folgen. „Dagegen spielen wirtschaftliche Gründe in der Regel nicht so eine große Rolle bei der Berufswahl“, sagt Seibel. „Denn das Gehalt der Geistlichen ist in Afrika und Asien deutlich geringer als in Mitteleuropa.“
Dass es in Ländern Afrikas und Asiens mehr Priesterweihen gibt, lässt sich also vor allem auf Gesellschaftsstrukturen zurückführen, die mit denen Europas nicht vergleichbar sind. Es ist deshalb schwer, einfach die Berufungspastoral aus anderen Kontinenten zu kopieren, sagt Johannes Seibel. „Man könnte höchstens sagen, dass Priester dort näher an der Seite der Menschen stehen und sich auch in gesellschaftliche und politische Konflikte einmischen. Diese Nähe zu den Menschen kann auch uns in Europa guttun“, sagt er.
Allerdings ist die Versorgung mit Priestern in diesen Ländern trotzdem oft schwieriger als in Europa. Denn es gibt immer noch zu wenige Geistliche für die Gläubigen. Laut dem aktuellen statistischen Jahrbuch der katholischen Kirche kommen in Afrika auf einen Priester mehr als 5.000 Katholiken, in Asien sind es 2.100 – und in Europa nur 1.600. Das führt dazu, dass manche afrikanischen Gemeinden nur einmal im Quartal Besuch von einem Priester bekommen, der dann Sakramente – auch die Eucharistie – spendet. Den Rest des Jahres wird das Gemeindeleben von Laien aufrechterhalten. Es herrscht dort also auch ein anderes Verhältnis von geweihten und nicht geweihten Seelsorgern. Obwohl das religiöse Leben dort mit dem in Europa nicht vergleichbar ist, kann sich Europa zumindest auf diesem Gebiet Impulse von den „jungen Kirchen“ Afrikas und Asiens holen.
Von Christoph Paul Hartmann
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