Von seiner 62 Jahre alten Namensvetterin hält der Politikwissenschaftler nicht viel: „Sie ist eine 'lame duck', die nur noch auf Anweisung der Führung in Peking agiert.“ Ihr Rücktritt könnte die „schwierige Situation“ in Hongkong zwar entschärfen, meint der 67-Jährige. Das aber käme dem Eingeständnis der Kommunistischen Partei Chinas gleich, mit Lam auf die falsche Person gesetzt zu haben. „Peking würde sein Gesicht verlieren.“
Die Politikerin wurde am 1. Juli 2017 als erste Frau von dem handverlesenen Wahlgremium zum „Chief Executive“ der Sonderverwaltungszone Hongkong gewählt. Ihre Karriere in der Verwaltung begann die aus einfachen Verhältnissen stammende Lam schon lange vor 1997, als Großbritannien die Kronkolonie an China zurückgab. Als Katholikin gehört die zweifache Mutter, die mit einem Mathematikprofessor verheiratet ist, zu den schätzungsweise 10 Prozent Christen, die die Millionenmetropole bevölkern.
Spätestens bei den Protesten von 2014 erwarb sich Lam den Ruf einer „eisernen Lady“. Sie gilt als Workaholic, der mit drei oder vier Stunden Schlaf pro Nacht auskommt – und sich bei politischen Auseinandersetzungen unnachgiebig zeigt. Doch jetzt, so zumindest urteilt Willy Lam, wären andere Qualitäten gefragt. „Sie könnte zum Dialog einladen“, meint der Politologe, räumt aber im gleichen Atemzug ein, dass China wohl keine echten Gespräche mit den Demonstranten zulassen wird.
Von ihrer Kirche könnte Lam Rückendeckung erwarten. Kardinal John Tong Hon, 80-jähriger Interimsleiter des Bistums Hongkong, unterstützt den Ruf nach größeren demokratischen Freiheiten sowie die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der Polizeigewalt. Von beidem will die Politikerin aber derzeit offenbar nichts wissen.