Frage: Die Mafia zieht auch junge Leute an, die keine andere Perspektive haben. Gibt es also auch eine Art „Migration“ zur Mafia?
Montenegro: Es ist weniger Migration denn Jobsuche. Wenn ich mit 30, 40 Jahren keinen Job finde, weil es hier keine Arbeit gibt, dann denke ich vielleicht in meiner Verzweiflung nicht darüber nach, was diese Leute mir für eine Aufgabe geben.
Frage: Was würden Sie diesen jungen Menschen denn raten?
Montenegro: Ich rate ihnen, aufzupassen. Setzen wir uns zusammen und schaffen wir eigene, neue Arbeitsmöglichkeiten. Denn eine Waffe, eine Pistole, eine Drohung machen mich nicht zu einem Menschen. Damit kann ich mich nicht verwirklichen und die Person werden, die ich eigentlich bin. Es gibt auch junge Migranten, die Gefahr laufen, in die Fänge der Mafia zu geraten. Diese jungen Kerle haben nichts zu tun, warten in ihren Unterkünften, schauen Fernsehen in einer Sprache, die sie nicht verstehen. Wären wir in einer solchen Situation, ginge es uns vielleicht die ersten Tage noch gut. Aber nach einer Woche würden wir uns auf den Füßen herumtreten. Es gibt viele kriminelle Hilfsarbeiten. Die Mafia sagt dann zu den jungen Migranten: Ich gebe dir Arbeit, dann kannst du deine Familie ernähren. So geraten sie auf die schiefe Bahn. Das ist traurig.
Frage: Das heißt, auch Migranten geraten in mafiöse Kreise.
Montenegro: Ja. Die Mafia hat ein Interesse daran, dass die Armut bleibt. So schafft sie Abhängigkeiten. Wenn die jungen Leute trotz Uniabschluss keine Arbeit finden, wenn sie fortgehen, weil sie keine Perspektive haben – wo landen sie dann? Die Mafia hat ein Auge auf sie und macht ihnen verlockende Angebote.
Frage: Gibt es von der Kirche Initiativen, die dieses Problem angehen?
Montenegro: Ja, die Kirche hat auch auf nationaler Ebene ein Projekt gestartet, mit dem sie jungen Menschen hilft, neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Das wurde auch in vielen Diözesen umgesetzt. Wir haben eine gemeinnützige Stiftung eingesetzt und Geld investiert. Das müssen wir tun, denn wenn wir es nicht tun, wer dann? Der italienische Staat schafft es nicht, Arbeitsplätze zu schaffen. Und einer von zwei jungen Italienern ist arbeitslos.