„Wir schätzen, dass 2015 die weltweiten Rücküberweisungen von Flüchtlingen und Migranten in ihre Heimat rund 602 Milliarden Dollar betragen haben, dass an Entwicklungsländer geschätzte 440 Milliarden Dollar überwiesen werden“, sagte Schüttler vergangenes Jahr im Deutschlandfunk. Die weltweite staatliche Entwicklungshilfe liegt dagegen nur bei etwa 150 Milliarden Dollar.
Dazu kommen hohe Summen, die über informelle Kanäle wie Freunde und Familienmitglieder gesendet werden und in den offiziellen Bilanzen gar nicht auftauchen. „Da gibt's viele Möglichkeiten, wie man es informell schicken kann“, betont die Weltbank-Mitarbeiterin.
Unter Experten wird seit langem gestritten, ob die finanziellen Transfers zur Lösung der Armutsproblematik in den Entwicklungsländern beitragen. Befürworter sprechen von einer Win-Win-Situation: Die Zahlungen gehen direkt an Einzelne und Familien. Sie fließen nicht an einen möglicherweise korrupten Staat, sondern erhöhen direkt das verfügbare Haushaltseinkommen.
„Die Migranten schaffen eine Lebensperspektive für die Menschen in ihren Heimatländern und halten sie davon ab, sich auf die gefährliche Flucht in Richtung Europa zu begeben“, sagte beispielsweise der Grünen-Entwicklungsexperte Uwe Kekeritz am Samstag. Auch die Bundesregierung wertet die Transfers als „entwicklungsfördernd“, weil das Geld direkt vor Ort bei den Menschen in den Entwicklungsländern ankomme.
Aber die Rücküberweisungen haben auch ihre Schattenseiten: Meist profitieren nicht die Ärmsten, denn sie haben in der Regel keinen finanziellen Spielraum um Angehörige ins Ausland zu schicken. Die Gesellschaften verlieren möglicherweise gerade die gut ausgebildeten Menschen. Hinzu kommt: Die Herkunftsländer können von den hohen Zuflüssen abhängig werden und verzichten dann möglicherweise darauf, selbst Initiativen zu ergreifen. So beruhten 2013 rund 42 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von Tadschikistan auf Rücküberweisungen.
Die Geberländer müssen nach Einschätzung von Stephan Klasen, Göttinger Professor für Ökonomie, kaum befürchten, dass sie unter dem Kapitalabfluss leiden. „Für die Geberländer insgesamt sind die Auswirkungen so gering, dass das vernachlässigbar ist“, sagte Klasen im Deutschlandfunk. „Wenn wir überlegen, wie viel Geld aus Deutschland rausfließt über Rücküberweisungen und wieder reinfließt über Gewinne deutscher Unternehmen im Ausland, da fällt das kaum auf.“ Migranten transferierten darüber hinaus nicht nur Geld, sondern auch deutsche Produkte wie Autos oder Küchengeräte in ihre Heimatländer. Indirekt bedeute das sogar Werbung und Wirtschaftsförderung.
Profiteure des Transferbooms sind allerdings auch die großen internationalen Unternehmen, die die Überweisungen tätigen und dabei riesigen Gewinn machen – wie Western Union, Moneygram und Ria. Die Bundesregierung bezeichnete es als Ziel, die zum Teil sehr hohen Transaktionskosten bis 2030 auf weniger als drei Prozent zu senken.
Von Christoph Arens (KNA)
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