Nach Jahren zäher Verhandlungen sind die Staat-Kirche-Reformen nun weitgehend vollendet. Kein schlechter Zeitpunkt also für Hollerich, ein zusätzliches Amt in Brüssel anzutreten. Weil Kardinal Marx nach sechs Jahren als Vorsitzender der EU-Bischofskommission COMECE nicht mehr zur Wiederwahl antreten durfte, brauchte das Gremium einen neuen Leiter. Bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Brüssel wählten die Bischöfe den Luxemburger am Donnerstag zum Nachfolger.
Hollerich wurde am 9. August 1958 im luxemburgischen Differdange nahe der deutschen Grenze geboren. Als junger Mensch erlebte er noch die Zeit der Schlagbäume. Diese Prägung veranlasste ihn in der aktuellen Flüchtlingsdebatte, als er bereits Erzbischof jenes Landes war, in dem das Schengener Abkommen geboren wurde, sich deutlich gegen die Abriegelung der europäischen Grenzen zu positionieren: „Der Ruf nach Grenzkontrollen ist etwas, das ich nicht verstehe.“
Die Grenzen des kleinen Großherzogtums verließ Hollerich zum Studium der Theologie in Rom. 1981 trat er in den Jesuitenorden ein. Nach dem Noviziat im belgischen Namur und zwei Jahren in der heimatlichen Seelsorge setzte er seine Theologiestudien von 1985 bis 1989 in Tokio und Frankfurt fort. Nach der Priesterweihe 1990 studierte Hollerich zusätzlich Germanistik in München.
1994 wurde er Lehrer für Deutsch, Französisch und europäische Studien an der Jesuiten-Universität Sophia in Tokio, wo er später auch als Seelsorger der dortigen deutschen Pfarrei wirkte. Die Erfahrung der kleinen, aber hoch anerkannten Minderheiten-Kirche in Japan hat ihn nachhaltig geprägt und immun gemacht gegen eine Haltung kirchlichen Machtanspruchs, wie sie früher vielen Luxemburger Klerikern eigen war.
Hollerich ist kein Mann, der eingängige Parolen von sich gibt. Er ist es gewohnt, Religion und Gesellschaft gleichzeitig aus einem „deutschen“ und aus einem französisch-laizistischen Blickwinkel zu betrachten. In der COMECE wird er zwischen unterschiedlichen Sichtweisen der Bischöfe vermitteln müssen, die zwischen germanischem und romanischem Denken, aber auch immer öfter zwischen Ost und West auseinanderdriften.
Ähnlich wie Marx hat sich Hollerich in der Flüchtlingsfrage deutlich positioniert. „Es ist ganz klar, dass das politische Problem der Flüchtlinge nicht national, sondern europäisch gelöst werden muss“, sagte er 2017 in einem Interview. Die Kirche dürfe nicht zwischen christlichen und muslimischen Flüchtlingen unterscheiden: „Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo in der Heiligen Schrift gelesen zu haben, man solle nur den Menschen helfen, die so sind wie wir.“ In seinem Erzbistum war Hollerich Mitinitiator des Flüchtlingsprojekts „Reech eng Hand“ (Reich eine Hand).
Er habe festgestellt, dass sich jene Kirchengemeinden, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagierten, positiv entwickelten. „Sie werden wieder lebendiger; es gibt dort Kontaktpersonen für Flüchtlinge, Sprachkurse, alles Mögliche. Wir leben Christentum!“ Die Kirche dürfe sich auf EU-Ebene nicht zu stark in die Politik einmischen, mahnte er. „Aber sie muss ihre Stimme erheben, damit ein friedliches, gerechtes Zusammenleben aller Menschen in Europa möglich wird.“
Von Michael Merten (KNA)
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