Stichwort Uneinigkeiten: Manch ein Zuhörer denkt da gleich an den Streit innerhalb Europas über den Umgang mit den Flüchtlingen. Sowohl Lammert als auch Kermani betonten, dass die Schließung von Fluchtwegen wie etwa der Balkanroute keine Lösung sei, sondern das Problem nur verlagere. Dringend sei eine Unterscheidung zwischen Einwanderung und Asyl, zwischen freiwilliger und erzwungener Migration. Für jeden Europäer müsse es „glasklar“ sein, dass Verfolgte Anspruch auf Zuflucht hätten, betonte Lammert.
Lammert: Religion gewinnt an Bedeutung
Und was ist mit der Religion? Sie habe keineswegs eine rückläufige, sondern eine zunehmende Bedeutung, sagte Lammert. Menschen bräuchten Halt und Orientierung. Mit Blick auf Kermanis Buch „Ungläubiges Staunen“, in dem sich der Orientalist mit Aspekten des Christentums und christlicher Kunst auseinandersetzt, sagte Lammert, dass Dinge anders diskutiert würden, wenn manch einer so viel über das christliche Abendland wisse wie der Muslim Kermani.
Dieser warb dafür, sich mit anderen Kulturen zu beschäftigen – was auch dazu führe, die eigene besser kennenzulernen. Wer seine Wurzeln nicht kenne, werde anfällig für Fremdenfeindlichkeit und Parolen. Verbindende Werte seien europäisch und universal, nicht national. „Europa ist keine ethnische, sondern eine Willensgemeinschaft.“ Daher könne es auch passieren, dass zum Beispiel ein Istanbuler sich mehr als Europäer fühle als jemand hierzulande.
„Diese EU bricht auseinander, wenn es so weitergeht“, mahnte Kermani, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Und schickte in Richtung Bundestagspräsident hinterher: „Ist es jetzt nur die Panik eines Schriftstellers?“ Ohnehin kokettierte er ein wenig mit dem Verhältnis eines Autors zu einem Politiker. Sei es gut, wenn ein Schriftsteller mit einem Politiker einig sei?
Immer wieder kam an dem Abend auch die Leidenschaft beider Männer für Fußball zur Sprache – wenngleich wohl für jeweils einen anderen Club. In Sachen Europa scheinen sie auf einer Wellenlänge zu sein und haben dezidierte Meinungen – nicht verkehrt, ob in ihrer jetzigen Position oder vielleicht eines Tages als Bundespräsident.
Von Leticia Witte (KNA)
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