Frage: Warum?
Klaschka: Die Indigenen haben eine andere Auffassung vom Zusammenleben zwischen Mann und Frau als zum Beispiel die Wertschätzung eines Zölibats. Es ist in Lateinamerika immer wieder eine große Herausforderung gewesen, diese Lebensform motivierend darzustellen. Wenn der Papst jetzt nach San Cristobal de las Casas geht, will er damit betonen, dass dieser Weg der Inkulturierung des Evangeliums, den Samuel Ruiz mit der Option für die Armen begonnen hat, ein Weg ist, den die Kirche weitergehen soll.
Frage: Freilich gab es innerkirchlich auch Widerstand gegen diesen Weg der verstärkten Weihe von ständigen Diakonen unter den Indigenen. Denn es führte – so war die Kritik – zu einem Ungleichgewicht zwischen Priestern und Diakonen und wurde dann auch ausgesetzt mit der Emeritierung von Bischof Ruiz im Jahr 2000. Wie hat sich die Lage in der Zwischenzeit entwickelt?
Klaschka: Inzwischen kann sein Nachfolger, Bischof Arizmendi, wieder indigene Männer zu Diakonen weihen. Das war eine klare Entscheidung der römischen Kurie (2014, Anm.) dahingehend, dass der Weg von Bischof Ruiz anerkannt wird als ein Weg, das Evangelium in Chiapas und vielen anderen Gegenden lebendig zu halten. Zuvor gab es Missverständnisse und – so wie ich glaube – auch eine fehlende Kenntnis der Situation von Chiapas in Rom – nicht im Sinne von rational denken, sondern von Herzenserkennen.
Frage: Bischof Ruiz war politischer Vermittler in den Zapatisten-Unruhen der 1990er Jahre. Wie ging das genau?
Klaschka: Bischof Ruiz war jemand, der von allen in den Konflikt verwickelten Parteien als Vermittler anerkannt wurde – auch von den Indigenen. 1994 kam es in Chiapas zum bewaffneten Aufstand der indigenen Zapatisten. Die mexikanische Regierung hat sofort eingegriffen. Sie hatte den Eindruck, Bischof Ruiz würde aufgrund seiner Option für die Armen diesen Aufstand befürworten, was nicht der Fall war. Es wurde klar, dass er Gewalt ablehnt. Das will ich deutlich sagen. Aber für die Rechte der Indigenen, dass sie als Menschen anerkannt werden, dass Schulen und Krankenhäuser gebaut werden, dass Infrastrukturmaßnahmen ergriffen werden und dass die natürlichen Ressourcen nicht aus dem Land herausgeholt werden – dafür ist er sehr eingetreten.
Frage: Wie kommt es, dass dieses soziale Engagement der Kirche – verkörpert in Bischof Ruiz – solche Missverständnisse hervorrief?
Klaschka: Wer sich dazu einmal stark positioniert wie Bischof Ruiz – und das habe ich selbst erlebt in Mexiko – wer damals in den 90er Jahren sich für die Armen einsetzte oder soziale Initiativen ergriff, wurde sehr leicht und schnell als Kommunist verdächtigt. Das war die Atmosphäre. In dieser Atmosphäre muss man die Vermittlerrolle von Samuel Ruiz sehen, der sich stark bemüht hat, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bekommen. Das ist ihm auch gelungen. Es ist noch ein weiter Weg, die Anerkennung der indigenen Kulturen in der mexikanischen Gesellschaft und im Staat zu erreichen, aber ich glaube der erste Schritt ist getan.
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