Frage: Wo fehlt es vor allem an Gerechtigkeit?
Spiegel: Denken Sie etwa an eine aktuelle Studie, nach der die 62 reichsten Menschen der Welt so viel materiellen Reichtum besitzen wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit. Und das ist nur ein Signal dafür, dass viele Menschen in den Ländern des Südens schlichtweg kaum eine Chance auf ein besseres Leben haben. Obwohl da viel mehr möglich wäre. Wer globale Gerechtigkeit will, muss Abhängigkeiten sowohl im negativen als auch im positiven Bereich in den Blick nehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Misereor will mit der Projektarbeit einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen ihre Rechte verteidigen können und Zusammenhänge aufzeigen, was mangelnde Rechte für Menschen in anderen Ländern mit uns in Deutschland zu tun haben. Welche Vorstellungen haben wir von Entwicklung und Fortschritt für Deutschland, für Brasilien, für die Welt? Ein lateinamerikanisches Gebet drückt es so aus: „Herr gib denen, die Hunger haben, Brot – und denen, die Brot haben, Hunger nach Gerechtigkeit.“
Frage: Papst Franziskus hat ja das Heilige Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Wie fügt sich Ihre Fastenaktion in dieses Jahr ein?
Spiegel: Schon der Name des Werkes Misereor heißt so viel wie „Ich habe Erbarmen“. Wir wollen ein Herz haben – gerade für die, die ausgeschlossen sind, und für die arm gemachten dieser Erde. Und schon Thomas von Aquin hat gesagt, dass Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Ich muss da immer an ein Lied der argentinischen Sängerin Mercedes Sousa denken, in dem es heißt:
„Nur das eine erbitte ich von Gott: dass das Leiden der Anderen mich nicht gleichgültig lässt.“ Und da sind wir ganz nah bei Papst Franziskus, der etwa auf Lampedusa vor einer Globalisierung der Gleichgültigkeit gewarnt hat. Hier wollen wir Zeichen setzen und zeigen, dass es ganz viele Hoffnungsträger gibt in der Welt, die Barmherzigkeit, Solidarität und Gerechtigkeit gegen die Gleichgültigkeit setzen.
Frage: Neu in diesem Jahr ist, dass Sie Ihre Aktion gemeinsam mit dem Rat der Kirchen in Brasilien starten. Was steckt dahinter?
Spiegel: Da gibt es drei Aspekte: Erstens kann nicht ein Land alleine die aktuellen großen Herausforderungen wie Klimawandel oder die Flüchtlingsfrage lösen. Nord und Süd müssen hier eng zusammen arbeiten. Zweitens sagt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, dass 80 Prozent der Weltbevölkerung einer Religion angehören. Damit hat Religiosität ein Riesen-Potenzial, aber auch die Pflicht, etwas zu verändern in dieser Welt. Und drittens: Brasilien ist ein Schwellenland, also nicht nur Hilfsempfänger, sondern selbst wichtiger Akteur in der Weltgemeinschaft. Und da wollen wir gemeinsam etwas bewirken, aber auch die Zusammenhänge in der Welt aufzeigen.